Geheimagenten hatten die FARC-Guerilla infiltriert und Schritt für Schritt die Aktion vorbereitet. “Es war wie im Film“, sagt die befreite Politikerin.

Bogota. Als man Ingrid Betancourt mit gefesselten Händen zu einem Hubschrauber führt, ahnt sie nicht, dass sie in wenigen Minuten frei sein wird. Die Maschine ist weiß lackiert und trägt keinerlei Erkennungszeichen. In der Luft schwebt ein weiterer Hubschrauber. Gehören sie zu einer Hilfsorganisation? Dann sieht Ingrid Betancourt vier Besatzungsmitglieder und neun weitere Männer. Sie tragen T-Shirts mit der Ikone von Che Guevara. Also sind es doch Rebellen?

Dann, als die Türen des Hubschraubers bereits geschlossen sind, bemerkt Betancourt, dass der Guerillero Cesar, der sie all die Jahre immer so grausam behandelt hat, nackt am Boden liegt, mit verbundenen Augen. "Wir sind von den nationalen Streitkräften", sagt einer der Männer. "Sie sind frei."

Später, als alles vorbei ist und das ganze Geschehen bei einer ersten Pressekonferenz auf dem Flughafen von Bogota erläutert wird, bekennt Betancourt: "Das war surreal. Das war wie im Film."

Was war passiert? Geheimdienstagenten der kolumbianischen Streitkräfte hatten die Reihen der Guerilla infiltriert, wie Verteidigungsminister Juan Manuel Santos mitteilt. Sie brachten den für die Geiseln verantwortlichen FARC-Kommandeur Cesar dazu, Betancourt und 14 weitere Gefangene zu dem Landeplatz der Hubschrauber zu führen - vermeintlich zu dem Zweck, die Geiseln zum FARC-Befehlshaber Alfonso Cano zu bringen, um über einen möglichen Gefangenenaustausch zu beraten.

Am fraglichen Tag werden Betancourt und die anderen schon um fünf Uhr früh geweckt. Ihre Aufpasser befehlen ihnen, ihre Sachen zusammenzupacken - und lassen sie dann stundenlang warten. Schließlich werden sie in drei kleineren Gruppen zum vereinbarten Ort gebracht. Dort warten die getarnten Hubschrauber vom Typ MI-17. Einer von ihnen hebt sofort wieder ab, der andere bleibt am Boden. "Wir sind an Bord gegangen, aber es war schwierig, weil wir gefesselte Hände hatten. Das war erniedrigend, und drinnen haben sie uns auch die Füße gefesselt", erzählt Ingrid Betancourt.

Und dann kommt der Augenblick, der ihr - nach sechs Jahren, vier Monaten und sieben Tagen Geiselhaft - "wie ein Wunder" erscheint.. "Der Hubschrauber wäre fast abgestürzt, so sind wir herumgesprungen und haben gejubelt."

Die 46 Jahre alte Politikerin wirkt dünn und zerbrechlich, aber überraschend wohlauf, als sie in Bogota eintrifft und ihre Mutter in einer langen Umarmung festhält. "Gott, was für ein Wunder. So eine perfekte Operation, das ist beispiellos."

Bei den anderen befreiten Geiseln handelt es sich um drei US-Bürger, Angestellte des Rüstungskonzerns Northrop Grumman, und elf kolumbianische Polizisten und Soldaten. Die Amerikaner - Marc Gonsalves, Thomas Howes und Keith Stansell - werden sofort nach Texas geflogen, wo sie mit ihren Familien zusammentreffen und sich medizinisch untersuchen lassen.

Die Befreiungsaktion, die unter dem Codenamen "Schachmatt" lief, ist der schwerste Schlag, den die FARC in ihrem seit Anfang der 60er-Jahre andauernden Kampf gegen die Regierung hinzunehmen hat. Betancourt und die drei Amerikaner waren für die Guerilleros das wertvollste Pfand, um noch Forderungen stellen zu können. Ansonsten ist die FARC seit Monaten in der Defensive, hat ihre wichtigsten Kommandeure verloren und einen großen Teil des Territoriums aufgeben müssen, das sie ehedem unter Kontrolle hatte. Im März starb der langjährige Guerillaführer Manuel Marulanda. Zwei weitere Kommandeure wurden von Soldaten erschossen.

Die Befreiungsaktion, sagt Verteidigungsminister Santos, werde "wegen ihrer Kühnheit und ihres klaren Erfolgs in die Geschichte eingehen". General Freddy Padilla fügt hinzu: "Es ist heute genauso abgelaufen, wie wir es wollten. Ohne einen einzigen Schuss. Ohne dass jemand verletzt wird. Absolut sicher und geordnet, ohne einen einzigen Kratzer."

An der Aktion seien nur Kolumbianer beteiligt gewesen, heißt es in Bogota. Aber US-Botschafter William Brownfield spricht von einer "engen Kooperation" mit den US-Stellen, darunter ein Austausch von Geheimdienstinformationen und von Erfahrungen aus früheren Operationen. "Ich will nicht in die Details gehen", fügt Brownfield hinzu.

Cesar und ein weiterer Guerillero sollen vor Gericht gestellt werden. 58 weitere Guerilleros konnten ungehindert in den Dschungel fliehen. Für den Fall, dass etwas schiefgehen würde, hielten die Streitkräfte noch 39 weitere Hubschrauber bereit. Diese hätten die Guerilleros einkreisen und zur Kapitulation zwingen sollen, erklärt Santos.