Der Bauingenieur restaurierte Schlösser in Mecklenburg-Vorpommern. Als seine Baufirma pleiteging, fand er Arbeit am Hindukusch.

Hamburg. Immer weiter nach Osten ist Rüdiger D. gegangen, auf der Suche nach einem Auskommen für sich und seine Familie: Von Klein Kummerfeld bei Neumünster, über Teterow und Wismar in Mecklenburg-Vorpommern bis nach Kabul in Afghanistan. Nun soll der 43-Jährige für immer vom Hindukusch nach Deutschland zurückkehren - gestorben in der Hand von Geiselnehmern.

Dass er vor diesem Schicksal immer Angst hatte, offenbart ein Interview, das Rüdiger D. vor einem Jahr dem ZDF gab. Heute.de veröffentlichte es gestern erneut. Er fühle sich in Kabul sehr unsicher, sagt er: "Ich denke, Afghanistan ist ein Pulverfass." Er könne niemandem raten, in Afghanistan zu investieren. "Einen richtigen Bodyguard haben wir nicht", sagte er. "Wir gehen auch nur auf die Straße, wenn es unbedingt notwendig ist."

Bei schweren Ausschreitungen im Mai 2006 zwischen der Zivilbevölkerung und der Polizei habe er sechs Stunden in Angst verbracht: "Im Umkreis haben fünf Häuser gebrannt, 20 Meter vor unserem Haus lagen zwei Tote, und überall liefen Polizisten durch die Gegend." Damals beschloss er, sofort das Land zu verlassen, sollte er Ähnliches noch einmal erleben. Die Entführung, die ihn nun das Leben kostete, sah er nicht voraus.

Vor zehn Jahren war Rüdiger D. aus Klein Kummerfeld, wo heute noch die Eltern und seine Schwester leben, in die ostdeutsche Provinz gezogen. In der ehemaligen Kreisstadt Teterow ließ er sich 1997 nieder, wie Bürgermeister Reinhardt Dettmann gestern erzählte. Ein guter und zuverlässiger Baufachmann sei Rüdiger D. gewesen, der unter anderem erfolgreich die Rekonstruktion solch repräsentativer Objekte wie der Schlösser Teschow und Schorssow geleitet habe, lobte Dettmann. In guten Zeiten beschäftigte er nach Aussage seines Freundes Hans Burmeister aus Teterow bis zu 18 Mitarbeiter.

D.s Frau habe unter anderem einen Bastelladen in Teterow aufgebaut, so der Bürgermeister. Der Sohn des Ehepaars müsse mittlerweile 13 Jahre alt sein. Genaueres wusste der Bürgermeister nicht zu sagen, denn vor zwei Jahren war die Familie nach Wismar gezogen, nachdem D.s Baufirma geschlossen worden war.

Das kam nach der Schilderung seines Freundes so: "Vor etwa fünf Jahren ist Rüdiger schwer krank geworden." Er sei operiert worden, habe einige Wochen sogar im Koma gelegen. In dieser Zeit, in der er sich um nichts habe kümmern können, habe die Firma Schaden genommen. Rüdiger D. musste Insolvenz anmelden. "Er bekam große finanzielle Probleme, er hatte als Selbstständiger ja kein Arbeitslosengeld", sagt Burmeister.

Der Chef einer Hotelgruppe, für die D. als Bauleiter bei der Sanierung der Schlösser Schorssow und Teschow im Kreis Güstrow arbeitete, bot ihm der Schilderung zufolge an, ihn in wenigen Jahren erneut zu beschäftigen. Bis dahin aber suchte der 43-Jährige verzweifelt Arbeit und fand ein Angebot für Afghanistan im Internet. Er fuhr zunächst auf Probe mit, festigte seine Englischkenntnisse und stieg dann ein.

Heute steht er im Internet selbst als Ansprechpartner für Jobs als Vorarbeiter, Polier oder Ingenieur im Straßen-, Brücken- und Hochbau Afghanistans. "Kost und Logis frei, drei Heimflüge im Jahr", werden dort versprochen. "Er hätte ja auch von Sozialhilfe weiterleben können, aber das wollte er nicht", erinnert sich Burmeister.

Vor allem um den schwerhörigen Sohn sorgte Rüdiger D. sich. Seinetwegen habe er aus der mecklenburgischen Kleinstadt Teterow auch weg gewollt: "Hier gibt es doch nichts, kein Kino, kein Theater. An der Bushaltestelle wollte er den Jungen nicht sehen." So zog die Familie nach Wismar.

Obwohl Rüdiger D. zuckerkrank war, vertrug er laut Burmeister die extremen Bedingungen in Afghanistan zunächst gut, auch die Hitze. Aber unter Druck, mit einem Gewehrkolben seiner Entführer im Nacken sei der Stress womöglich zu groß gewesen, mutmaßt der Freund.