Der Einfluss der USA schwindet, der Kontinent entwickelt Selbstvertrauen und neue Wortführer.

Washington/Hamburg. Einst galt Südamerika als politisch schmuddeliger Hinterhof der USA und Dorado rechter Regime. Das hat sich gründlich geändert. Und das Interesse an dem sich dynamisch entwickelnden Teilkontinent wächst. Gleichzeitig touren der deutsche und der amerikanische Präsident durch Südamerika und werben für soziale Anliegen - normal für "Super-Horst" Köhler, eher ungewohnt für George W. Bush.

Seine erste Südamerikareise als Bundespräsident hat Köhler unter den Schwerpunkt der sozialen Verantwortung und der Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit gestellt. Köhler und seine Frau Eva waren am Mittwochabend in Brasilia eingetroffen. Brasilien ist zweite Station der Lateinamerikareise des deutschen Staatsoberhaupts, die in Paraguay begann und in Kolumbien endet.

Bei der Bush-Reise wird es zugehen wie in der Geschichte vom Hasen und vom Igel. Der US-Präsident startete seine Tour durch Lateinamerika gestern - und sein schärfster Kritiker in der Region, Venezuelas Links-Präsident Hugo Chavez, versucht ihn zu überholen. Wenn Bush in Uruguay eine Rede hält, wird Chavez in Argentinien einen Anti-Bush-Marsch anführen. Wenn Bush in Kolumbien haltmacht, wird Chavez in Bolivien gegen die USA wettern. Chavez und seine Anhänger wollen Bush daran erinnern, dass Lateinamerika nicht mehr der traditionelle Hinterhof ist, in dem sich gefügige Regierungen von Washington fernsteuern lassen. Vorbei die bleierne Zeit der USA-freundlichen Militärdiktaturen, die Lateinamerika in den 70er- und 80er-Jahren im Würgegriff hielten. Die Region ist demokratisch geworden, und in vielen Ländern regieren linke Parteien.

Während sich die USA im Irak und in Afghanistan in ehrgeizige Kriege verstrickten, verloren sie in Südamerika an Einfluss. Dort kursierten derzeit "viele falsche Versprechungen", warnt Bushs Sicherheitsberater Stephen Hadley. Das ist auf Chavez gemünzt, der mithilfe reicher Öl-Einnahmen und einer scharfen Zunge für seine sozialistische Revolution wirbt. Die neuen linkspopulistischen Präsidenten in Nicaragua, Ecuador und Bolivien zählen zu seinem Lager.

Dermaßen beflissen bemüht sich Bush derzeit um Anerkennung in Lateinamerika, dass er sich zeitweise selbst fast wie Chavez anhört. "Dies ist meine Botschaft an die Arbeiter und Bauern", sagte Bush in Richtung Süden. "Ihr habt einen Freund in den Vereinigten Staaten. Wir kümmern uns um eure Not." Das sind ungewohnte Worte aus dem Mund eines Mannes, der sich im eigenen Land nie als Arbeiter- und Bauernführer profiliert hat. Als Gastgeschenk bringt Bush Entwicklungshilfe mit sowie das Lazarettschiff "USNS Comfort", das auf einer Tour 85 000 Lateinamerikaner behandeln soll. Ein Viertel aller Lateinamerikaner muss mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen.

Bush will mit dieser Reise auch offensichtlich Brasilien politisch gegen Venezuela in Stellung bringen. Doch Experten warnen ihn vor durchschaubaren Werbemanövern. Bushs Reise werde kein Erfolg, wenn sie "wie eine Reaktion auf Chavez" aussieht, sagt Peter DeShazo vom Center for Strategic and International Studies in Washington. Bush müsse klarmachen, "dass aufseiten der USA ein neues Interesse an der Region" bestehe. Beobachter sind sich einig, dass derzeit eine antiamerikanische Welle durch Lateinamerika schwappt. Chavez fülle das Machtvakuum, das die USA hinterlassen haben, und löse den schwerkranken kubanischen Alt-Revolutionär Fidel Castro als Wortführer der Linken ab.

Bush muss auf allen Reiseetappen in Brasilien, Uruguay, Kolumbien, Guatemala und Mexiko mit Gegendemonstrationen rechnen. Sein Ansehen hat in der Region einen Tiefpunkt erreicht, der von USA geführte Irak-Krieg nährte das alte Klischee vom rauflustigen Gringo. "Es ist unrealistisch zu glauben, dass eine einzige Reise des Präsidenten den Schaden in den Beziehungen zu Lateinamerika reparieren kann", sagt Michael Shifter vom Institut für Inner-Amerikanischen Dialog in Washington. Bush müsse die soziale Ungerechtigkeit in Lateinamerika ansprechen und für faire Handelsbeziehungen sorgen, dann könne die Reise ein Erfolg werden.