Polen und Tschechen signalisieren Zustimmung zur Stationierung von Raketen und Radar. Wie ernst zu nehmen sind die schroffen Reaktionen aus Moskau?

Hamburg. Als US-Experten im Jahre 1945 die verwüsteten Abwurfzonen der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki in Augenschein nahmen, machten sie eine seltsame Entdeckung: Überall fanden sich zunächst unerklärliche weiße Flecken in der verkohlten Landschaft. Es waren die "Schatten" von Menschen, die im nuklearen Feuerball in Sekundenbruchteilen verdampft waren. Jahrzehntelang hat die Furcht vor dem nuklearen Holocaust die Erde vor einem Endzeitkrieg bewahrt. Das Gleichgewicht des Schreckens zwischen Ost und West hielt den fünften Reiter der Apokalypse, den Atomkrieg, im Zaum.

Und heute? Wer wollte sich fest darauf verlassen, dass fanatische und politisch irrlichternde Gestalten wie der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad oder Nordkoreas bizarrer Führer Kim Jong-Il in Krisenzeiten die Nerven behalten, wenn sie einmal über Atomraketen verfügen?

Die USA wollen für diesen Fall gerüstet sein: Die westliche Vormacht sieht sich als Hauptziel eines möglichen Nuklearangriffes von "Schurkenstaaten", wie sie Iran, Nordkorea und Co. uncharmant etikettiert. Schon unter Ronald Reagan hatte das Pentagon Pläne für einen Raketen-Schutzschild geschmiedet. Dieses "Star Wars" (Krieg der Sterne) getaufte Projekt mit seinen weltraumgestützten Abwehrwaffen fiel jedoch derart gigantomanisch aus, dass es aus technischen und finanziellen Erwägungen gestoppt wurde, zumal Washington der Feind - die kommunistische Sowjetunion - abhanden kam.

Der Griff der Regime in Mittel- und Fernost nach der Bombe hat das "Stars Wars"-Projekt wieder auf die Agenda gesetzt. Auf ein schon eher bezahlbares und technologisch machbares Maß reduziert, nimmt "Son of Star Wars" - der "Sohn des Kriegs der Sterne"- Konturen an. Auch bei dem offziell "National Missile Defense (NMD)" (Nationale Raketen-Verteidigung) getauften Projekt geht es um eine Kombination aus Satelliten, boden- luft- und weltraumgestützten Abwehrwaffen.

Zum Entsetzen der Russen hatten die USA im Juni 2002 einseitig das 1972 mit Moskau geschlossenen AMB-Abkommen aufgekündigt, das die Entwicklung derartiger nationaler Abwehrsysteme untersagte. Inzwischen wurden in Kalifornien und Alaska Raketen-Abfang-Basen errichtet.

Doch nun überschattet ein anderer Teil von "Son of Star Wars" das Verhältnis zu Moskau. Denn zum ersten Mal wollen die USA einen Teil ihres Abwehrschildes nach Europa auslagern - genauer gesagt nach Osteuropa, direkt vor die Nasen der düpierten Russen.

Amerikanische Analytiker gehen natürlich davon aus, dass nordkoreanische oder iranische Interkontinentalraketen auf dem Weg zu ihren amerikanischen Zielen den europäischen Kontinent überfliegen. Da westeuropäische Staaten wie Deutschland oder Frankreich kaum für US-Raketenstationierungen zu erwärmen wären, wandten sich die Amerikaner an Polen und Tschechen - beide immerhin Opfer der Sowjetunion und entsprechend argwöhnisch gegenüber Moskau.

In Tschechien, möglicherweise auf dem alten Truppenübungspatz Brdy im Böhmerwald, soll nun eine Radaranlage installiert werden. Und - voraussichtlich im polnischen Masuren - ist die Stationierung von bis zu zehn ballistischen Raketen geplant. Eine anfliegende Atomrakete soll so frühzeitig von der Radarstation erfasst und von den Abwehrraketen zerstört werden.

Was Polen und Tschechen allerdings quer im Hals steckt, ist die Forderung der USA, diese Basen zum amerikanischen Territorium deklarieren zu wollen. Dennoch: Die erznationalistischen Kaczynski-Zwillinge in Warschau - Präsident der eine, Premier der andere, sagten sofort zu.

Auch der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek signalisierte, das Gesuch aus Washington werde wohl positiv beschieden. Beide Regierungen, die auf Milliardeninvestitionen der Amerikaner spekulieren, ignorieren dabei den Willen der Polen und Tschechen, die sich in Umfragen jeweils bis zu zwei Dritteln gegen die Stationierung des amerikanischen Abwehrsystems aussprachen. Die Parlamente müssen noch zustimmen - was bisher keineswegs als gesichert gilt.

Zwar richtet sich das System nicht gegen die strategischen Waffen Russlands - denn die würden ohnehin die kürzere Reiseroute über den Nordpol nach Amerika nehmen -, doch sehen die Russen die Stationierung amerikanischer Waffen vor ihrer Haustür mit höchstem Argwohn. Im Übrigen widerspräche dies auch Absprachen mit den USA im Zusammenhang mit dem Beitritt Polens und Tschechiens zur Nato.

"Son of Star Wars" hat zu einer starken Abkühlung im amerikanisch-russischen Verhältnis geführt. Der Befehlshaber der Strategischen Streitkräfte Russlands, General Nikolai Solowzow, drohte sogar, die US-Basen in Polen und Tschechien könnten zu Zielen russischer Angriffe werden. Falls dort solche Systeme stationiert werden, würden die russischen Raketentruppen sie "ins Visier nehmen". Und der Kommandeur der russischen Luftwaffe, General Wladimir Michailow, sagte dunkel, nicht Russland, sondern die Stationierungsländer müssten sich "Sorgen" deswegen machen.

US-Außenministerin Condoleezza Rice wies die Bemerkungen als "äußerst unglücklich" zurück - in der Sprache der Diplomatie fast schon ein Leberhaken. Zugleich ging sie auch mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier ins Gericht, der kritisch angemerkt hatte, Washington hätte frühzeitig mit Moskau darüber reden sollen. Es habe zahlreiche Konsultationen mit den Russen gegeben, konterte Rice vorgestern in Berlin, allein zehn Treffen auf hochrangiger Ebene seit März 2006.

Steinmeier blieb jedoch auch im persönlichen Dialog mit seiner amerikanischen Kollegin bei der grundsätzlichen Kritik am US-Raketenschild in Osteuropa. Und bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow warnte er vor einer Demontage des in den 90er-Jahren gewachsenen Systems der Abrüstung. Lawrow meinte fast lässig, die russische Wehrtechnik werde eine "asymmetrische Antwort" auf das amerikanische System bereithalten. Das zielt fraglos auf die modernste Atomrakete der Welt, die SS-27 "Sickle B", in Russland "Topol M2" genannt, mit 11 500 Kilometer Reichweite. Ihre bis zu sechs Sprengköpfe sind lenkbar und können daher Abfangraketen ausmanövrieren.

Die Reaktionen aus Russland sind auch deshalb so schroff, weil dem neuen US-Verteidigungsminister Robert Gates Anfang Februar die unbedachte Bemerkung herausgerutscht war, Russland zähle wie China und Nordkorea zu den potenziellen Kriegsgegnern der USA. Für Verteidigungsminister Sergej Iwanow, Wladimir Putins Kronprinz und ausgewiesener Hardliner, sind Bemerkungen wie diese und "Son of Star Wars" politische Geschenke. Er sammelt schon Munition für den Präsidentschaftswahlkampf.

Westliche Kritiker des amerikanischen Raketenschildes halten ganz andere Argumente parat. Sie meinen, Terrorstaaten würden niemals so töricht sein, sich einer amerikanischen Vergeltung auszusetzen. Sie würden einen Atomangriff auf US-Städte eher mit einer ins Land geschmuggelten Koffer-Bombe inszenieren. Der waffenstarrende "Son of Star Wars" bliebe in diesem Fall chancenlos.