Schlaganfall: Der Generalstaatsanwalt entscheidet, ob der Premier wieder regieren kann. Ärzte beenden das künstliche Koma. Ausmaß der Hirnschäden noch nicht abschätzbar.

JERUSALEM. Das Schicksal von Ariel Scharon schwebt weiter zwischen Hoffen und Bangen. Die Ärzte des Jerusalemer Hadassah-Krankenhauses haben gestern erfolgreich damit begonnen, den erkrankten israelischen Ministerpräsidenten aus dem Koma zu erwecken. Scharon bewegte sich leicht und atmete wieder selbständig, wie die Mediziner mitteilten. Der leitende Neurochirurg Felix Umanski sprach von einem "sehr wichtigen Zeichen". Scharons Zustand sei aber nach wie vor kritisch.

Scharon habe auf Schmerzreize hin seine rechte Hand und sein rechtes Bein bewegt, sagte Umanski: "Es war eine leichte, aber sehr bedeutsame Bewegung." Am Nachmittag sei auch der Blutdruck des 77jährigen wieder gestiegen, was ebenfalls ein positives Zeichen sei. Es sei allerdings noch zu früh, um mögliche Schädigungen des Denkvermögens und der linken Körperhälfte abzuschätzen. "Wir stehen erst am Anfang eines sehr langen Weges", sagte Umanski und fügte hinzu, die Beendigung des künstlichen Komas könne sich über mehrere Tage hinziehen.

"Erst wenn der Ministerpräsident mit uns sprechen und aufrecht sitzen kann, kann man sagen, daß keine Gefahr mehr für sein Leben besteht", erklärte Umanski weiter. "Wenn er bei Bewußtsein ist und wenn alle seine Systeme funktionieren und wenn es keine Komplikationen wie etwa eine Infektion gibt, bin ich bereit zu sagen, daß er außer Gefahr ist." Möglicherweise werde Scharon in den kommenden Tagen die Augen öffnen, wenn die Narkosemittel weiter reduziert würden.

Laut Klinikdirektor Schlomo Mor-Josef bleibt Scharon vorerst an das Beatmungsgerät angeschlossen. Anschließend wollen die Mediziner dann Klarheit über das Ausmaß der Hirnschäden nach Scharons Schlaganfall in der vergangenen Woche haben.

Sobald absehbar ist, wie stark die Blutungen im Hirn Scharon beeinträchtigt haben, informieren die Ärzte Generalstaatsanwalt Meni Masus. Dieser entscheidet dann, ob der Regierungschef seine Amtsgeschäfte wiederaufnehmen kann. Sollte Masus Scharon eine dauernde Amtsunfähigkeit bescheinigen, muß das Kabinett innerhalb von 24 Stunden einen Übergangsministerpräsidenten bestimmen.

Daß der Regierungschef jemals in sein Amt zurückkehren könnte, schloß einer seiner Chirurgen jedoch aus. Scharons Überlebenschancen seien hoch, aber sein Denkvermögen werde beeinträchtigt sein, erklärte Jose Cohen. Israels Ministerpräsident war nach dem Schlaganfall mit Hirnblutungen dreimal notoperiert worden.

Ein neuer Ministerpräsident müßte nach Angaben des Justizministeriums aus dem Kreise von fünf Ministern aus Scharons Kadima-Partei gewählt werden, die zugleich über ein Abgeordnetenmandat verfügen. Favorit wäre Vizeregierungschef Ehud Olmert, der derzeit die Geschäfte führt. Er bliebe bis zur Parlamentswahl am 28. März im Amt. Eine Entscheidung über die Regierungsfähigkeit Scharons ist nach Angaben von Justizministeriumssprecher Jaakov Galanti nicht dringend: Olmert kann zunächst 100 Tage lang amtierender Regierungschef bleiben. Olmert hat versprochen, die Linie Scharons fortzuführen.

Vor dem Hadassah-Krankenhaus brachte eine Gruppe Jerusalemer Bürger ein Plakat an, auf dem zu lesen stand: "Ariel Scharon, es gibt noch viel zu tun. Bitte, wach auf."

Im Gaza-Streifen demonstrierten indes 40 maskierte Mitglieder der militanten Al-Aksa-Märtyrerbrigaden gegen Scharon. Einer der Demonstranten zeigte ein Foto des israelischen Regierungschefs mit der Aufschrift "Der Kindermörder".