Europas Chefdiplomat: In Zukunft wird der Westen „mit dem Rest der Welt anders umgehen müssen, als wir es heute tun – rücksichtsvoller“. Vorbereitungen auf Nato-Gipfel in Frankreich und Deutschland mit strengen Sicherheitsmaßnahmen.

Brüssel/Hamburg. Unmittelbar vor dem Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden hat sich EU-Chefdiplomat Javier Solana im Hamburger Abendblatt offen für den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen als neuen Nato-Generalsekretär ausgesprochen. Damit verstärkte er den Druck auf die Türkei, ihren Widerstand gegen die von Europäern und Amerikanern angestrebte Ernennung Rasmussens aufzugeben.

"Der Premierminister von Dänemark ist eine hervorragende Persönlichkeit. Wenn er gewählt wird, wird er einen sehr guten Job als Nato-Generalsekretär machen", sagte Solana im Interview des Hamburger Abendblatts. Er hoffe sehr, dass "jetzt auf dem Gipfel oder später" ein entsprechender Konsens gefunden werde.

Solana zeigte sich überzeugt, dass die Nato auch in der Zukunft "eine wichtige Rolle" spielen wird. Ein Weltpolizist allerdings werde die Allianz niemals sein. "Ich denke auch nicht, dass wir einen Weltpolizisten brauchen", sagte er. In Zukunft werde der Westen "mit dem Rest der Welt anders umgehen müssen, als wir es heute tun rücksichtsvoller", betonte er.

Der außenpolitische EU-Koordinator sprach sich dafür aus, Russland an der geplanten US-Raketenabwehr in Osteuropa zu beteiligen. "Ich bin dafür, Russland in die Raketenabwehr einzubeziehen. Das ist auch möglich", sagte Solana. Das Projekt sei ohnedies nicht gegen Russland gerichtet. "Es geht um Staaten, die möglicherweise das europäische Territorium bedrohen."

Eine Nato-Mitgliedschaft Russlands, wie sie zuletzt vom polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski ins Gespräch gebracht wurde, kann sich Solana nicht vorstellen. "Ich bin sicher, dass die Zusammenarbeit zwischen der Nato und Russland sehr viel enger werden wird, als sie heute ist. Aber ich denke nicht, dass Russland jemals Mitglied der Nato werden will."

Einen Tag vor dem Beginn des Nato-Gipfels ist es in den deutschen Veranstaltungsorten Baden-Baden und Kehl zunächst zu keinen Protesten gekommen. Ein Polizeisprecher sagte in Freiburg, die Lage sei ruhig. In Baden-Baden seien 5000 Polizisten im Einsatz. Es gebe bislang keine Hinweise auf gewalttätige Aktionen.

In Kehl habe die Polizei die Europabrücke im besonderen Blickpunkt, sagte ein Sprecher. In Straßburg entspannte sich die Lage am Donnerstag nach Polizeiangaben wieder. In der Nacht zum Mittwoch war es vor dem Camp der Nato-Gegner bereits zu Ausschreitungen mit Sicherheitskräften gekommen, als Polizisten Personen kontrollieren wollten.

An einer ersten Demonstration auf der Europabrücke von Kehl nach Straßburg beteiligten sich Hunderte Menschen, in der Innenstadt simulierten Dutzende Aktivisten einen Luftangriff und stellten sich tot.

Am Donnerstag herrschte um das Straßburger Kongresszentrum, in dem die 28 Staats- und Regierungschefs am Sonnabend über eine neue Afghanistan-Strategie beraten werden, noch Ruhe. Ab dem Abend sollte der öffentliche Nahverkehr in den Sicherheitszonen um die Veranstaltungsorte eingestellt werden.

Mit 50 000 Barrieren will die Polizei Störenfriede abhalten. Sämtliche Briefkästen und Gullydeckel in der elsässischen Hauptstadt waren am Donnerstag bereits versiegelt.

Am Freitag empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel die Staats- und Regierungschefs in Baden-Baden im Kurhaus. Dort gab es bereits vor Gipfelbeginn Polizeiabsperrungen. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac kritisierte die Sicherheitsvorkehrungen und zudem das angebliche Bestreben der deutschen und französischen Behörden, "das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit massiv zu behindern".