Die Herrschaft der skurrilen Familie ist beendet. Über Jahrzehnte versetzte Gaddafi die Welt in Schrecken – nur manchmal gab’s was zu lachen.

Tripolis/Brüssel. Er förderte den Terror gegen den Westen, paktierte mit jedem, der sein Öl kaufte, bereicherte sich und seine riesige Familie, ließ morden und gab sich in den vergangenen Jahren geläutert. Doch das half ihm nicht gegen sein eigenes Volk. Der libysche Oberst Muammar al-Gaddafi, 69, ist der skurrilste Diktator der Welt – gewesen. Denn seine Macht ist längst untergraben, die Welt wartet auf den letzten Akt seiner Schreckensherrschaft, vor der viele jahrelang die Augen schlossen. Gaddafi sponserte Terroristen wie die, die 1986 die Berliner Diskothek La Belle mit einem verheerenden Bombenanschlag attackierten. Gaddafi unterstützte die Lockerbie-Attentäter, die kurz vor Weihnachten 1988 einen PanAm-Jumbo über Schottland abstürzen ließen. Und neben seiner bizarren Vorliebe für Krankenschwestern und weibliche Bodyguards waren es im Ausland seine wüsten Söhne, die sich gerierten, als seien sie milliardenschwere Weltherrscher. Schon ihre Skandale waren mindestens so bedrohlich für die Beteiligten wie des Vaters Aussprüche verrückt.

Sollte jemals die annähernd wahre und komplette Geschichte der schrecklichen Familie Gaddafi vorliegen, würden Hollywoods Produzenten nach den Filmrechten grapschen. Der eine Sohn hat Mitarbeiter in der Schweiz misshandelt, der andere ist mit 140 in Paris über die Champs-Élysées gebrettert. In München hatte ein anderer Ärger mit den Nachbarn. Aber Gaddafis Tochter Aischa gehörte als Top-Juristin zum Anwälteteam des irakischen Diktators Saddam Hussein. Sein Sohn Saif al-Islam sollte Papa Diktator eigentlich politisch beerben. Daraus wird wohl nichts. Sohn Saadi , mehrfach Fußballer des Jahres in Libyen, wechselte 2003 in die italienische Liga zu Perugia Calcio (später zu Udinese) und wurde einem 15-minütigen Einsatz gegen Juventus Turin drei Monate wegen Dopings gesperrt.

Das ist harmlos gegen die Drohungen und Gebärden Gaddafis gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Gaddafi pflegt bei Auslandsreisen sein Beduinenzelt aufzubauen und drinnen zu nächtigen. Das hielt er so in Italien, in New York und anderswo. Bei einem Besuch in Paris 2008, plauderte er mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Er fuhr auf der Seine, machte eine Shoppingtour und eine Privatführung durch den Louvre. Sarkozy sagte, es habe politische Gespräche auch über Menschenrechte gegeben. Gaddafi meinte, darüber sei nun nicht gesprochen worden. Da hatten die USA die Libyer bereits von der Schurken-Liste genommen.

Gaddafi gilt als neurotisch und aufbrausend, schreibt die Nachrichtenagentur dpa. Er misstraue fast jedem und verlasse sich am liebsten auf die eigene Familie. Er habe sein Land in einem wilden Zickzackkurs von der Monarchie in eine Art Volksrepublik geführt.

Im Jahr 2003 verkündete Gaddafi, Terror und Aufrüstung seien sinnlos. Deshalb werde er nun die Unterstützung von Extremistengruppen beenden und alle Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen einstellen. Danach wurde sein Kontakt zu Italien besonders eng. Mit Staatschef Silvio Berlusconi verstand er sich offenbar gut. Gaddafi trieb den Kult um seine Person auf die Spitze. Er inszenierte sich als Popstar mit Sonnenbrille und ließ internationale Künstler für Konzerte einfliegen.

Schon im Jahr 1975 veröffentlichte Gaddafi das „Grüne Buch“. Das waren die Leitlinien seiner Politik, eine Art islamischer Sozialismus und ein Votum für die arabische Einheit. Im Jahr 2000 vermittelte Gaddafi bei den Geiselnahmen auf der philippinischen Insel Jolo, in die auch das deutsche Ehepaar Wallert als Opfer verwickelt war. Im Oktober 2004 besuchte ihn Gerhard Schröder (SPD) als erster deutscher Bundeskanzler. Da war Gaddafi international aufgewertet. Doch den Erosionsprozess im Land konnte selbst die Gewaltherrschaft des Machthabers nicht aufhalten. Wie in Tunesien und Ägypten lehnte sich das Volk gegen den Diktator auf – letztlich erfolgreich, wenn auch mit Tausenden Opfern.