Der Angriff in Ras Lanuf sollte die Bemühungen um die Ölforderung der Rebellen boykottieren. TV-Sender: Gaddafi weiter in Libyen.

Tripolis/Niamey. Der untergetauchte libysche Exmachthaber Muammar al Gaddafi gibt nicht auf: In einer neuen Audio-Botschaft warf er der neuen libyschen Führung vor, das Land dem Ausland auszuliefern. Er werde weiter kämpfen. Die Botschaft des langjährigen Staatschefs wurde am Montag im syrischen Fernsehen veröffentlicht, nachdem nur Stunden zuvor Gaddafi-Anhänger eine wichtige Ölraffinerie in Libyen angegriffen hatten.

Eine Gruppe legte zunächst Feuer in der Anlage Ras Lanuf, später stürmten bewaffnete Männer in einer Kolonne aus bis zu 40 Fahrzeugen den Komplex. 15 Angreifer wurden getötet, wie ein Kommandeur der ehemaligen Rebellen, Fadl Allah Harun, erklärte.

Ein anderer Kommandeur, Oberst Hamid al Hasi, sagte, eine Gruppe aus 15 Mitarbeitern habe die an der Mittelmeerküste gelegene Anlage, rund 615 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis, in Brand gesteckt. Fünf der Saboteure seien getötet, der Rest festgenommen worden. In einem möglicherweise koordinierten Angriff wurde der Ölhafen anschließend von der Kolonne aus bewaffneten Männern angegriffen, die offenbar in einem Flüchtlingscamp rund 30 Kilometer südlich von Ras Lanuf stationiert waren.

In einer Hochburg der Gaddafi-Getreuen, Bani Walid, hatten die Rebellen ebenfalls mit erbittertem Widerstand zu kämpfen. Sie brachten aber den nördlichen Teil der Stadt weitgehend unter ihre Kontrolle. In Erwartung weiterer Gefechte flüchteten Familien in Dutzenden Fahrzeugen aus Bani Walid. Augenzeugen sagten, es gebe keinen Strom und kein fließendes Wasser in der Wüstenstadt. Den Geschäften gingen die Nahrungsmittel aus.

Ein Kommandeur der ehemaligen Rebellen sagte, Scharfschützen Gaddafis hätten sich auf Dächern stationiert. Truppen des Exmachthabers hätten auch Grad-Raketen und Mörser auf Revolutionstruppen am nördlichen Stadtrand von Bani Walid abgefeuert. Dort hätten sich rund 2.000 ehemalige Rebellen versammelt.

Unterdessen wurden auch Kämpfe in der Stadt Sirte gemeldet. Dort seien bei Gefechten zwischen Gaddafi-Anhängern und Anhängern der Opposition mindestens drei Menschen getötet worden, teilte der Militärrat von Misrata mit.

In einer ihm zugeschriebenen kurzen Erklärung, die im syrischen Fernsehsender Al Rai TV verlesen wurde, sagte Gaddafi: „Wir werden nicht beherrscht werden, nachdem wir die Herren waren.“ Die revolutionären Streitkräfte bezeichnete der Exmachthaber als „Verräter“, die dazu bereit seien, das Ölreichtum Libyens ausländischen Interessen zu überlassen. „Wir werden Libyen nicht noch einmal dem Kolonialismus übergeben, wie es die Verräter verlangen“, hieß es in der Erklärung. Der Kampf gegen den „Putsch“ werde fortgeführt.

Gaddafis Aufenthaltsort ist weiter ungewiss. Nach Angaben seiner Anhänger soll er sich noch immer in Libyen aufhalten. Einige Mitglieder der Gaddafi-Familie sind in den Nachbarstaat Niger geflohen, darunter einer der Söhne des einstigen Revolutionsführers. Al Saadi Gaddafi habe in einem Konvoi mit neun weiteren Personen die Grenze überquert und sei im Norden des Landes abgefangen worden, sagte der nigrische Justizminister Amadou Morou am Sonntag. Die Personen seien in Richtung Agadez im Zentrum des Landes unterwegs gewesen, wo sich mehrere weitere Gaddafi-Anhänger in einem Hotel aufhalten sollen.

Morou erklärte am Sonntag, Al Saadi Gaddafi habe „keinerlei Status“ in Niger, offenbar um klarzustellen, dass der 37-Jährige nicht als Flüchtling behandelt werde. Die neue libysche Führung hatte das Nachbarland nach der Flucht mehrerer ranghoher Mitglieder des alten Regimes nach Niger aufgefordert, Gaddafi-Getreuen kein Asyl zu gewähren. Die neue Führung will Gaddafi und alle seine Söhne vor Gericht stellen.

Zwtl: NATO berät über Verlängerung der Libyen-Mission NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte unterdessen, die Allianz werde in dieser Woche über die Verlängerung des Libyen-Einsatzes diskutieren. Das derzeitige Mandat läuft am 27. September aus. Rasmussen sagte vor Journalisten in London, die NATO sei bereit, ihre Mission so lange wie notwendig fortzusetzen.

China schloss sich am Montag anderen Ländern an und erkannte den libyschen Übergangsrat als legitime Regierung des nordafrikanischen Landes an. China ist das letzte Mitglied des UN-Sicherheitsrat, das den Übergangsrat anerkennt. (dapd)

Die Ereignisse des Tages zum Nachlesen im Live-Ticker:

20.02 Uhr: Gefolgsleute Gaddafis töteten bei einem Überfall auf eine Raffinerie in Ras Lanuf 17 Wachleute. Der Angriff richtete sich augenscheinlich gegen die Bemühungen der neuen Führung, die für das Land lebenswichtige Ölförderung und -ausfuhr wiederzubeleben. Gaddafi hält sich nach einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Arrai weiter in Libyen auf. Der Sender, der dem langjährigen Staatschef wiederholt als Sprachrohr diente, verbreitete einen Aufruf Gaddafis, „bis zum Sieg“ gegen eine Kolonisierung Libyens zu kämpfen.

16.54 Uhr: Gaddafi hat die Libyer nach einem syrischen TV-Bericht aufgefordert, sich den Rebellen nicht zu ergeben. Sie kolonisierten das Land, hieß es in einer der Botschaft Gaddafis, die der Eigner des syrischen TV-Senders Arrai auf seinem Kanal vorlas. Man habe Gaddafi im Fernsehen zeigen wollen, den Auftritt aus Sicherheitsgründen aber verschieben müssen. „Gaddafi sollte inmitten seiner Kämpfer gezeigt werden und nicht aus Venezuela oder Niger oder irgendwo sonst“, sagte er.

16.22 Uhr: China hat den Nationalen Übergangsrat Libyens offiziell als regierende Autorität und Vertreter des libyschen Volks anerkannt. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Mit der Ankündigung beendet die Regierung in Peking die wochenlange Unsicherheit darüber, wann China formell die neue libysche Regierung anerkennt. Bislang gehörte es zu den wenigen Ländern, die sich mit einer Anerkennung zurückhielten.

14.58 Uhr: Der Übergangsrat will Rivalitäten zwischen den verschiedenen Rebellengruppen vorbeugen, indem er mehr lokale Rebellenchefs an der Macht beteiligt. In Tripolis hieß es, bei der von Ministerpräsident Mahmud Dschibril angekündigten Erweiterung der Regierung der Aufständischen sollten Vertreter von Regionen zum Zuge kommen, die in dem Gremium bislang nicht repräsentiert waren. Das neue Kabinett soll in spätestens zehn Tagen vorgestellt werden.

14.11 Uhr: Religiöser und politischer Extremismus haben nach Aussage eines Mitglieds des Nationalen Übergangsrats in einem neuen Libyen keine Chance. „Wir wollen eine pluralistische Gesellschaft, Menschenrechte und Religionsfreiheit“, sagte Fathi Mohammed Baja am Rande des internationalen Friedenstreffens der Gemeinschaft Sant’Egidio in München. Alle politischen Ansichten hätten in Form von Parteien und Gruppierungen ihren Platz im neuen Staat. Letztendlich entschieden Wahlen darüber, wer regiert. Generell gebe es in Libyen wenige Extremisten, erläuterte der Universitätsprofessor aus Bengasi, der auch seine Stadt im Übergangsrat vertritt. Die Befreiungsbewegung in Libyen sei an sich friedlich angelegt. „Wir sind Zivilisten, wir haben die Gewalt nicht gesucht.“

11.58 Uhr: Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von Attacken Gaddafi-freundlicher Truppen auf eine Öl-Raffinerie bei Ras Lanuf, 200 Kilometer östlich von Gaddafis Geburtsstadt Sirte. Die genauen Schäden sind noch unklar.

10.20 Uhr: Ein Pro-Gaddafi-Radiosender in Bani Walid ruft zum Widerstand gegen die Rebellen auf und verspricht als Belohnung die „hübschesten Mädchen" in der Stadt.

9.48 Uhr: Die Rebellen kommen vor der Gaddafi-Hochburg Bani Walid mit ihren militärischen Operationen nicht weiter. „Der Plan ist derzeit abzuwarten“, erklärte der Sprecher des Übergangsrates der Rebellen, Ahmed Bani, nach Angaben des Nachrichtensenders al-Arabija. Die Aufständischen hatten allerdings auch bisher keinen ernsthaften Versuch unternommen, eine der letzten Bastionen der Getreuen des gestürzten Diktators Gaddafi einzunehmen. Am Sonnabend war ein Ultimatum des Übergangsrates an die Gaddafi-Loyalisten abgelaufen, die Waffen niederzulegen.

9.13 Uhr: Nach dem Machtwechsel in Libyen hat das vom Bürgerkrieg verwüstete Land seine Ölproduktion wieder angeworfen. Der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, sagte, mit der Förderung sei bereits am Sonnabend wieder begonnen worden. Er machte keine Angaben zu Ort und Mengen, sondern ergänzte lediglich, die Produktion werde in naher Zukunft erhöht. Libyen hält die größten Ölreserven Afrikas.

Der mächtige und milliardenschwere Familien-Clan ist in Auflösung begriffen. Immer mehr enge Familienmitglieder des untergetauchten libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi setzen sich ins Ausland ab. Gaddafis Sohn al-Saadi habe am Sonntag die Grenze zum Nachbarland Niger überquert, sagte der nigrische Justizminister Marou Amadou in der Hauptstadt Niamey. Wie der arabische Nachrichtensender al-Dschasira weiter berichtete, wurde der 38 Jahre alte Ex-Fußballprofi in einem Konvoi mit acht weiteren Personen aufgegriffen. Die Regierung von Niger sei nicht vorab informiert worden. Al-Saadi ist bereits das vierte von acht Kindern Gaddafis, das sich ins Ausland abgesetzt hat. Zuvor war Ende August die zweite Ehefrau, Safija al-Gaddafi, mit der Tochter Aisha und dem Sohn Hannibal nach Algerien geflüchtet. Mit dabei war auch Gaddafis ältester Sohn Mohammed, der aus erster Ehe stammt. Wo sich Ex-Diktator Gaddafi aufhält, ist weiterhin unklar.

In das Nachbarland Niger waren in den vergangenen Tagen bereits ranghohe Generäle Gaddafis geflüchtet. Die Regierung des Landes gibt an, dass sie die Wüstengrenze zu Libyen nicht vollständig überwachen könne. Eine neue libysche Übergangsregierung soll innerhalb von zehn Tagen gebildet werden. Mahmud Dschibril vom Übergangsrat sagte in Tripolis vor Journalisten, in der neuen Übergangsregierung sollten auch Repräsentanten der unterschiedlichen Regionen Libyens vertreten sein.

Am Sonnabend traf erstmals seit dem Sturz des Gaddafi-Regimes der Vorsitzende des libyschen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, in Tripolis ein. Hunderte Anhänger, Rebellen-Militärs und Honoratioren der Hauptstadt bereiteten ihm einen begeisterten Empfang, berichteten Augenzeugen. Bisher hatte sich Dschalil, der führende Politiker der neuen Machthaber, in der ostlibyschen Großstadt Bengasi aufgehalten. Dort war im Februar der Volksaufstand ausgebrochen, der Ende August zur Vertreibung Gaddafis aus Tripolis geführt hatte.

Nach Medienberichten warnte Dschalil im Kreise der Rebellenführung vor zu großem Optimismus. Gaddafi habe immer noch Geld, um Söldner anzuwerben. Die schon länger erwartete Ankunft Dschalils sollte auch dazu beitragen, die Kluft zwischen der politischen Führung des Aufstands und den Rebellen-Militärs in der Hauptstadt zu schließen.

Kämpfer der Rebellen-Milizen unternahmen am Sonntag erneut keinen ernsthaften Anlauf, die von Gaddafi-Anhängern besetzte Wüstenstadt Bani Walid einzunehmen. Die Verbände der Aufständischen würden sich nun in der Umgebung der Stadt neu gruppieren, berichteten Reporter des Fernsehsenders CNN aus dem Frontgebiet.

Am Vortag hatten sich Rebellen-Stoßtrupps mit Gaddafis Getreuen am Stadtrand heftige Gefechte geliefert. Die Kämpfer des ehemaligen Diktators leisteten mehr Widerstand als erwartet. Bani Walid, 150 Kilometer südöstlich von Tripolis, ist eine von vier Enklaven, die noch von Gaddafi-Streitkräften gehalten werden.

Rebellen begannen unterdessen die Gaddafi-Hochburg Sebha, 600 Kilometer südlich von Tripolis, zu umzingeln. Der Übergangsrat hatte den Gaddafi-Anhängern ein Ultimatum gesetzt, um die Waffen niederzulegen. Es war in der Nacht zum Sonnabend abgelaufen.

Die Nato dementierte am Sonntag Berichte, sie habe die Rebellenkämpfer zum Rückzug aus Bani Walid aufgefordert, um Luftangriffe fliegen zu können. Allerdings seien nahe der Stadt am Sonnabend ein Panzer, zwei gepanzerte Fahrzeuge und ein Raketenwerfer getroffen worden. Zudem seien Angriffe auf Gebiete rund um Sirte, sowie die Städte Waddan und Sabha im Süden geflogen worden.

In Deutschland haben sich nach ihrer offenen Konfrontation um die Libyen-Politik FDP-Chef Philipp Rösler und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nach Angaben aus Parteikreisen ausgesprochen. In einem vertraulichen Gespräch seien die Konflikte der vergangenen Wochen weitgehend bereinigt worden, berichtet der „Focus“. Die beiden Minister planen zudem eine gemeinsame Reise nach Libyen, sobald es die dortige Sicherheitslage erlaube, wie auch in FDP-Kreisen bestätigt wurde.

Westerwelle hatte eine Würdigung der Nato-Partner beim Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen zunächst unterlassen und auf die angeblich erfolgreiche deutsche Sanktionspolitik verwiesen. Rösler griff schließlich als Parteichef ein und dankte der Nato. Der Außenminister lenkte ein, geriet aber stark unter Druck. (dpa/dapd/rtr/abendblatt.de)