Wer krank aus dem Job ausscheidet, erhält immer weniger. Sozialverband fordert Regierung zum Handeln bei den Frührentnern auf.

Hamburg. Aus dem Job in die Armut: Wer wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr arbeiten kann , erhält oft nur noch eine Mini-Rente. Binnen zehn Jahren ist der durchschnittliche Zahlbetrag bei neu bewilligten Erwerbsminderungsrenten für Männer von 817 auf 672 Euro im Monat abgesackt, wie der Sozialverband Deutschland vorrechnete. Der Verband verlangt eine rund fünf Milliarden Euro teure Reform, um die Leistungen wieder zu verbessern. Dafür soll die Politik auf die absehbare Senkung des Rentenbeitrags verzichten. „Erwerbsminderung ist schon heute ein Armutsrisiko“, kritisierte SoVD-Experte Klaus Michaelis. Die Ursache habe die Politik mit den Kürzungen in der Rentenreform 2001 „sehenden Auges gesetzt“.

Nun müsse sie gegensteuern. Denn es gehe nicht um Einzelfälle. „Jeder Fünfte wird im Laufe seines Erwerbslebens eine Erwerbsminderungsrente in Anspruch nehmen müssen“, sagte der Experte. Derzeit beziehen nach Darstellung des SoVD rund 1,5 Millionen Menschen Erwerbsminderungsrenten. Jährlich scheiden rund 180.000 Berufstätige aus, weil sie nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten können.

Im Durchschnitt sind die Ausscheidenden laut Michaelis etwa 50 Jahre alt. Der Grund ist bei Frauen in 44 Prozent, bei Männern in 30 Prozent der Fälle eine psychische Erkrankung. Das Schrumpfen der Zahlbeträge hat nach Darstellung des Verbands zwei Gründe: Zum einen führen Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne dazu, dass Beitragszeiten fehlen oder weniger in die Rentenversicherung eingezahlt wird. Zum anderen gelten auch bei der Erwerbsminderungsrente – wie bei der normalen Altersrente – Abzüge von bis zu 10,8 Prozent, wenn man die Leistung vor dem 63. Lebensjahr in Anspruch nimmt.

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Das sei „unsystematisch“, weil sich die Betroffenen den Zeitpunkt ihrer Krankheit nicht aussuchen könnten, argumentierte Michaelis. Die Abschläge sollten deshalb abgeschafft werden. Das brächte im Durchschnitt 77 Euro monatlich mehr für die Bezieher. Kosten würde dies bis zu 1,8 Milliarden Euro im Jahr, sagte der Experte.

Darüber hinaus verlangt der SoVD längere „Zurechnungszeiten“ – das sind fiktiv unterstellte Beitragszahlungen, die Erwerbsminderungsrenten aufbessern. Der Verband will sie um drei Jahre bis zum 63. Lebensjahr ausweiten. Das brächte laut Michaelis im Schnitt noch einmal 70 Euro mehr im Monat, kostet aber in der Summe 1,5 Milliarden Euro.

Für Frührentner, die zusätzlich auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind, verlangt der Verband Verbesserungen. Wichtig ist den Sozialexperten zudem, Erwerbsminderung durch Abbau von Stress am Arbeitsplatz, durch Gesundheitsvorsorge und Reha zu verhindern. Alles zusammen würde fünf Milliarden Euro kosten, rechnete Michaelis vor.

Dass die schwarz-gelbe Koalition tatsächlich auf die Senkung des Rentenbeitrags verzichtet und die Gesetze entsprechend ändert, sei derzeit nicht absehbar, räumte SoVD-Präsident Adolf Bauer ein. Dennoch sei die Forderung berechtigt. Auch die Rentenversicherung hat die schwache Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos bereits beklagt. Präsident Herbert Rische hatte schon vergangenes Jahr Gegenmaßnahmen angeregt, so etwa eine zusätzliche Absicherung über die Riester-Rente. (dapd/abendblatt.de)