Die Leyen-Kommission berät über längere Lebensarbeitszeiten und den vorzeitigen Ruhestand wegen Krankheit und Burn-Out.

Hamburg. Im Arbeitsministerium firmiert das Großprojekt unter dem Titel "Regierungsdialog Rente". Doch Mitarbeiter haben die neue Expertenrunde aus dem Hause von Ursula von der Leyen, die Mitte September ihre Arbeit aufnehmen soll, bereits mit einem griffigen Namen versehen: die Leyen-Kommission. Denn nach Riester- und Rürup-Rente und der Ausdehnung der Lebensarbeitszeit bis zum 67. Geburtstag der Deutschen steht der nächste große Wurf in Sachen Rente an. Dazu holt von der Leyen alle ins Boot: Rentenversicherung, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Sozialverbände. Nur verraten will die Ministerin noch nicht, was genau auf der Agenda steht.

Dem SPD-Abgeordneten Anton Schaaf beschied das Ministerium auf die Anfrage knapp: "Die Bundesregierung wird diesem Dialogprozess nicht vorgreifen." Schaaf will es auch deshalb so genau wissen, weil die Rente mit 67 vom Jahr 2012 an schrittweise eingeführt wird. Das stellt viele Arbeitnehmer vor die Frage, ob sie ihrem Job bis zu diesem Alter überhaupt nachgehen können. SPD-Mann Schaaf ist gelernter Maurer. Eine Arbeit, den die meisten wegen der körperlichen Belastung nicht mal bis 65 ausüben können.

Und eine weitere Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, die dem Hamburger Abendblatt vorliegt, zeigt: Die Zahl der Frührentner bleibt hoch. Dabei gehen die Deutschen im Schnitt wieder später in die reguläre Altersrente als noch vor einigen Jahren, aber immer noch vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalter. Andere wiederum schuften deutlich länger. Die Arbeitswelt ist zerrissen.

Zum Beispiel stieg die Zahl der 63-jährigen Rentenbezieher zwischen Ende 2009 und Ende 2010 um 12,1 Prozentpunkte, die Zahl der 64-jährigen Rentner um 7,7 Prozentpunkte. Die einen sind schon früh wegen Krankheit aus dem Erwerbsleben geschieden. Die anderen vorzeitigen Ruheständler verzichten auf einen Teil der Rente. Wer mit 63 und nicht mit 65 die gesetzliche Rente in Anspruch nimmt, muss mit Abschlägen von 7,2 Prozent rechnen.

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Der Chef der Linkspartei, Klaus Ernst, spricht von einem Alarmsignal: "Die Diskussion über die Rente ab 67 muss neu eröffnet werden. Die steigende Zahl der Frühverrentungen ist ein Alarmzeichen. Die Anhebung des Rentenalters ist für viele eine Nettorentensenkung. In Deutschland kriegt man mit 64 eher das Bundesverdienstkreuz als einen neuen Job. Wir werden im Bundestag eine neue Abstimmung über die Rente ab 67 erzwingen."

Der Chef der Rentenversicherung, Herbert Rische, sieht Altersarmut derzeit noch nicht als großes Problem an. Aber: "Wo Langzeitarbeitslosigkeit entsteht oder ist, sollte ein Beitrag zur Rentenversicherung gezahlt werden. Das ist ein Personenkreis, der in Zukunft von Altersarmut betroffen sein kann. Für diese Menschen sollte man wieder einen Beitrag in die Rentenversicherung zahlen. Wir hoffen, dass die Politik hier vernünftige Entscheidungen trifft."

Die Rentenversicherung sieht im Prinzip dieselben Trends, die von der Leyen jetzt anpacken will: Da sind zum Beispiel die gebrochenen Erwerbsbiografien, heißt: mal angestellt, mal arbeitslos, mal selbstständig - so sieht die Karriere vieler Menschen heute aus. Rische will kleine Selbstständige unbedingt in die gesetzliche Rente holen.

Von der Leyen will außerdem neu über Rentenanrechnungszeiten für junge Mütter nachdenken, heißt es in ihrem Haus. Der Übergang vom Job in den Ruhestand soll flexibler werden.

Präsident Rische sieht auf die Rentenversicherung ein gewaltiges Problem zurollen. Die derzeit sprudelnden Einnahmen werden erheblich geschmälert durch die hohen Zahlen bei Erwerbsminderungsrenten. Das sind die Personen, die wegen Unfällen, Burn-out oder Krankheiten weniger oder gar nicht mehr arbeiten können. Ihnen könnte Altersarmut drohen.

Rische sagte: "Die häufigste Diagnosegruppe bei verminderter Erwerbsfähigkeit sind mit rund 40 Prozent der Fälle psychische Störungen. Auch die Reha-Maßnahmen wegen psychosomatischer Erkrankungen sind bei uns deutlich angestiegen."

Ulrich Walwei, stellvertretender Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, sagte dem Abendblatt: "Wir stellen fest, dass das Erwerbsaustrittsalter nach oben geht. Das ist ein langfristiger Trend, der auch die letzte Wirtschaftskrise überdauert hat. Wenn die Zahl der Frührentner wirklich steigt, dann hat das nichts mit dem Arbeitsmarkt zu tun. Egal, in welche Altersgruppe man dort schaut, man findet eine höhere Beschäftigungsquote. Das liegt unter anderem an den mittlerweile eingeschränkten Möglichkeiten, in den Vorruhestand zu gehen." Und der Experte sagte auch: "Das höhere Erwerbsaustrittsalter bedeutet nicht, dass ältere Arbeitnehmer eher eingestellt werden. Aber Betriebe trennen sich nicht mehr so schnell von erfahrenen und motivierten Arbeitskräften. Das gilt vor allem für Gutqualifizierte." Auf der anderen Seite heiße das für Geringqualifizierte: Sie beendeten das Erwerbsleben früher, so Walwei, "zum Teil, weil sie schwerere Arbeit verrichten mussten, zum Teil, weil sie schwerer vermittelbar sind".

Deutschlands Rentenpapst, der frühere Chef der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, sagte, die Rente mit 67 müsse weiterentwickelt werden. "Sie sollte durch eine Reform der Erwerbsminderungsrente und durch neue Regeln eines flexiblen Ausstiegs aus dem Arbeitsleben flankiert werden." Heute benötige ein Durchschnittsverdiener etwa 27 Beitragsjahre, um nur die Grundsicherung von etwa 680 Euro im Monat aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu bekommen. Rürup: "Auf der Basis des geltenden Rechts werden im Jahr 2030 dazu mehr als 32 Jahre erforderlich sein." Wer über 30 Jahre Vollzeit arbeite, müsse im Ruhestand mehr als die Grundsicherung bekommen, "um nach einem erfüllten Arbeitsleben nicht auf Fürsorgeleistungen angewiesen zu sein".