Während schwerer Kämpfe in Misrata betonte EU-Außenbeauftragte Ashton Bereitschaft für humanitäre Hilfe. Deutsche Soldaten bald in Libyen?

MisrataBerlin/Tripolis. In der libyschen Stadt Misrata haben sich Rebellen und Soldaten von Machthaber Muammar el Gaddafi am Freitag schwere Kämpfe geliefert. Das berichtete ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP, der sich mit einer von den libyschen Behörden geführten Gruppe von Korrespondenten in der Stadt aufhielt. Beide Seiten lieferten sich schwere Feuergefechte mit Leichtfeuerwaffen, Raketen und schwerer Artillerie. Vor einem Krankenhaus, zu dem die Behörden die Journalisten führten, um Opfer der Kämpfe zu zeigen, wurde ein als Begleiter eingesetzter Armeeoffizier durch einen Schuss von Heckenschützen leicht verletzt. Die Journalistengruppe war fünf Kilometer weit ins Stadtgebiet hineingelangt, die Stadt erstreckt sich über 30 Kilometer.

Nach Angaben der Rebellen wurden in Misrata am Freitag vier Menschen getötet, darunter zwei Kinder, als Gaddafis Soldaten Granaten und Raketen auf Häuser schossen. Zehn weitere Menschen seien verletzt worden. „Die Truppen von Gaddafi schießen weiter blind auf Wohnhäuser in Misrata“, sagte ein Rebellensprecher. „Diese Menschen wurden in ihren Häusern getötet, und an der Front haben wir paradoxerweise keine Opfer gehabt.“ Dem Sprecher zufolge hatten die Gaddafi-Truppen seit dem frühen Morgen von Panzern aus Raketen und Granaten abgefeuert. An der Küstenstraße habe es schwere Kämpfe gegeben.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton schrieb am Freitag einen Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, in dem sie die Bereitschaft der Europäischen Union für einen humanitären Einsatz für Misrata bekundete. Einem europäischen Diplomaten in Brüssel zufolge schrieb Ashton, die EU sei bereit, den 300.000 Bewohnern in der umkämpften Stadt zu helfen, die unter zunehmend gefährlichen und schwierigen Bedingungen lebten. Die EU wolle die dafür notwendigen Mittel, „einschließlich die militärischen“, bereitstellen.

Mit diesem Brief will die EU offenbar die UNO dazu bewegen, Brüssel offiziell um einen „humanitären Militäreinsatz“ in Misrata zu bitten. Deutschland ist bereit, sich mit der Bundeswehr an einem solchen Einsatz zu beteiligen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag in Berlin, die Initiative müsse aber von der UNO ausgehen.

Deutsche Soldaten im Einsatz gegen Gaddafi?

Sind Bundeswehr-Soldaten demnächst in Libyen im Einsatz? Um den Hilfseinsatz militärisch abzusichern, hält die Bundesregierung auch Bodeneinsätze deutscher Soldaten in libyschen Städten für möglich. Für den Fall einer deutschen Teilnahme sei „es doch ganz klar, dass man dann den Fuß auf libyschen Boden setzen würde“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Freitag. Er hob aber hervor, dies sei alles bislang sehr spekulativ, zumal noch gar keine Uno-Anfrage für einen derartigen Einsatz vorliegt.

„Die Initiative muss von der Uno ausgehen“, sagte auch Regierungssprecher Steffen Seibert. Er bekräftigte, wenn eine Anfrage zur militärischen Sicherung eines Hilfseinsatzes von der Uno an die EU gestellt werde, habe die Bundesregierung ja bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, „der deutschen Verantwortung gerecht zu werden“. Ob das Mandat für einen solchen Einsatz am kommenden Mittwoch Thema im Kabinett sein wird, ist laut Seibert noch offen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts wies aber erneut darauf hin, eine deutsche Beteiligung an Kampfeinsätzen in Libyen sei nicht vorgesehen.

Die Bundesregierung will 100 nordafrikanische Flüchtlinge aufnehmen, die sich derzeit auf der Mittelmeerinsel Malta aufhalten. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat dazu am Freitag Kontakt mit den Innenministern der Länder aufgenommen, wie das Ministerium in Berlin mitteilte. Details würden auch noch mit Malta abgestimmt. Friedrich bezeichnete die Hilfe als Akt der Solidarität mit dem EU-Land Malta, das durch seine Lage besonders von den Flüchtlingsströmen aus Nordafrika über das Mittelmeer betroffen sei. Bereits im Oktober 2010 hatte Deutschland 100 afrikanische Flüchtlinge aus Malta aufgenommen.

Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl lehnt das Vorhaben Italiens strikt ab, tunesische Flüchtlinge nach Deutschland und Frankreich weiterreisen zu lassen. Damit würde Italien gegen geltendes EU-Recht verstoßen, sagte Uhl der Nachrichtenagentur dpa. Sollte Italien die Pläne umsetzen, müsse Deutschland dafür eintreten, dass Österreich und Frankreich die gemeinsamen Grenzen nach Italien wieder kontrollierten. So müsse verhindert werden, dass Flüchtlinge auf dem Landweg nach Deutschland kämen. Italien hatte angesichts des Flüchtlingsstroms aus Nordafrika mitgeteilt, alle bisher eingetroffenen Flüchtlinge erhielten eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung. Die EU-Kommission machte bereits klar, dass die Flüchtlinge auch mit einer vorläufigen italienischen Aufenthaltserlaubnis nicht weiterreisen dürfen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen tut derzeit alles, um die Lage der Flüchtlinge an der tunesisch-libyschen Grenze zu lindern. Die UNHCR-Botschafterin Angelina Jolie besuchte die Flüchtlinge und versuchte durch ihre Bekanntheit auf deren Schicksal aufmerksam zu machen. Hollywood-Star Jolie sagte, sie wolle die Menschen ermutigen, für die Opfer der Libyen-Krise zu spenden. In der libyschen Stadt Misrata haben Scharfschützen nach Uno-Angaben auf Kinder geschossen. Die Sprecherin des Kinderhilfswerks Unicef, Marixie Mercado, erklärte in Genf, entsprechende Berichte lägen vor. Sie konnte nicht sagen, wie viele Kinder von Scharfschützen in der drittgrößten libyschen Stadt verletzt oder getötet wurden. Die Uno hatte bereits zuvor erklärt, in der von Regimegegnern gehaltenen Stadt Misrata seien Hunderte Menschen verletzt oder getötet worden. Den Bewohnern gingen Wasser, Lebensmittel und Medikamente aus.

Auch knapp zwei Monate nach Beginn des Aufstandes gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi fehlt den libyschen Rebellen ein charismatischer Kopf, der weltweit für ihre Sache steht. Während Erhebungen in Kuba in den 50er-Jahren untrennbar mit Fidel Castro und Che Guevara oder auf den Philippinen in 80ern mit Corazon Aquino verbunden sind, kennt kaum jemand die Anführer der Revolte gegen Gaddafi. Die revolutionäre Bewegung hat zwei Gremien an ihre Spitze gesetzt: Den nationalen Übergangsrat unter Mustafa Abdel Dschalil und den Krisen-Stab unter Mahmud Dschibril. Beide haben kaum Erfahrung im Umgang mit Medien. Dschibril wirkt zurückhaltend und höflich. Er wird kaum genannt, wenn man unter den Rebellen nach den führenden Männern fragt. Ein Problem scheint das nicht zu sein. „Uns führt keiner. Diese Revolution geht vom Volk aus“, sagt etwa der Student Halin al-Enesi bei einer Kundgebung in Bengasi.

Die Nato-Staaten, die die Rebellen mit Luftangriffen unterstützen, versuchen sich selbst ein Bild über die führenden Persönlichkeiten zu machen. Erst jüngst konferierte der US-Abgesandte Chris Stevens mit Vertretern des Rebellenrates. Aus westlicher Sicht sind Fragen bei den jetzigen Spitzen der Rebellen durchaus angebracht. Sowohl Mustafa Abdel Dschalil als auch Mahmud Dschibril gehörten lange Zeit zu den Stützen der Regierung Gaddafis. (dpa/AFP/rtr)