In der „Vatileaks“ genannten Enthüllungsaffäre im Vatikan ist der inhaftierte Kammerdiener des Papstes weiterhin der einzige Beschuldigte.

Vatikanstadt. Die Vernehmung des päpstlichen Kammerdieners durch den vatikanischen Untersuchungsrichter hat begonnen. Vieles spricht dafür, dass er kein Einzeltäter war, sondern auch innerhalb der vatikanischen Mauern Hintermänner, Helfer und Mitwisser hatte. Diesen mutmaßlichen weiteren „Raben“ im Schatten des Petersdoms sind die vatikanische Gendarmerie und eine eigens vom Papst eingerichtete Kardinalskommission auf den Fersen.

Doch was ist mit denen, die vertrauliche Dokumente aus dem päpstlichen Appartement und vatikanischen Behörden veröffentlicht haben? Den Redakteuren renommierter italienischer Tageszeitungen oder etwa dem TV-Journalisten Gianluigi Nuzzi, der in dem Buch „Seine Heiligkeit“ gleich stapelweise vertrauliche Schreiben publiziert hat? Ohne sie gäbe es schließlich die als „Vatileaks“ bezeichnete Affäre überhaupt nicht – oder zumindest nicht in ihrem gegenwärtigen Ausmaß.

Bislang ist von Ermittlungen gegen Journalisten und mögliche Zuträger in Italien nichts bekannt. Doch auch für sie könnte die Luft dünn werden. Szenarien wären denkbar, die eine rechtliche Handhabe böten, um diese Personengruppe vor den vatikanischen oder den italienischen Kadi zu bringen.

Denn: Der Arm der vatikanischen Strafverfolgung endet keineswegs vor dem Wachhäuschen der Schweizergarde an der St.-Anna-Pforte. Die vatikanische Gendarmerie selbst darf zwar nicht auf italienischem Territorium operieren; und in der Regel gilt auch für den Kirchenstaat der Grundsatz, dass nur Gesetzesverstöße verfolgt werden, die auf seinem Territorium begangen werden. In besonders schwerwiegenden Fällen kann die vatikanische Justiz jedoch auch in Italien begangene Straftaten verfolgen.

Sie muss sich in einem solchen Fall über das vatikanische Staatsekretariat und die römische Nuntiatur mit einem Amtshilfeersuchen an die italienische Regierung wenden. Wenn diese dem Antrag stattgibt, könnten italienische Ermittler Zeugenbefragungen, Beschlagnahmungen, Festnahmen und Verhöre für ihre vatikanischen Kollegen vornehmen. Bislang bestritt der Vatikan Zeitungsberichte, nach denen er ein solches Ersuchen schon an die italienische Regierung gerichtet habe. Vorstellbar wäre ein solches Vorgehen im Zuge der „Vatileaks“-Affäre etwa, wenn der Vorwurf auf Verrat von Staatsgeheimnissen lauten würde.

Komplett an Italiens Behörden übergeben wurde wegen seiner besonderen Brisanz etwa das Verfahren gegen den Papstattentäter Ali Agca, der Mai 1981 auf dem Petersplatz auf Johannes Paul II. schoss - obwohl das Attentat auf vatikanischem Territorium stattfand.

Auch von italienischer Seite könnte Journalisten zumindest theoretisch Ungemach drohen: Die Lateranverträge von 1929 sehen vor, dass die italienischen Behörden im Fall einer Beleidigung des Papstes eigenständig Ermittlungen einleiten. Generell ist die Hemmschwelle italienischer Medien, vertrauliche Dokumente oder Mitschnitte abgehörter Telefonaten aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu veröffentlichen, niedrig. Rechtlich geahndet wird diese Praxis jedoch nur selten.

Ob es zu Ermittlungen gegen Journalisten und andere mutmaßliche Zuträger in der „Vatileaks“-Affäre kommt, ist Spekulation. Fest steht vorläufig nur der Tatbestand, für den sich der Kammerdiener Paolo Gabriele vor dem vatikanischen Untersuchungsrichter verantworten muss: schwerer Diebstahl. Allerdings könnte sich die Anklage im Lauf des Verfahrens noch ausweiten. Im Gegensatz zum einfachen Diebstahl müssen im Fall des „schweren Diebstahls“ besondere Umstände hinzukommen.

Dazu gehört nach vatikanischem Recht etwa, dass der Dieb regelmäßigen Zugang zur Wohnung des Bestohlenen hatte und ein besonderes Vertrauensverhältnis zu diesem bestand. Das dürfte in diesem Fall zutreffen. Dem Kammerdiener drohten dann ein bis sechs Jahre Haft – die sich auf bis zu acht Jahre erhöhen könnten, falls ein weiterer erschwerender Umstand hinzukommt. Das könnte etwa der Nachweis sein, dass an dem Diebstahl mehrere Personen beteiligt waren. Und schließlich könnte sich auch die Anklage im Laufe des Verfahrens selbst noch ausweiten.