Der Trend, wonach Familien die innerstädtischen Quartiere Hamburgs verlassen, setzt sich fort. Im Zentrum leben immer weniger Kinder.

Hamburg. Die Neumanns waren überzeugte St. Paulianer. Etliche Jahre wohnte das Paar in einer Vierzimmerwohnung im dritten Stock, direkt gegenüber der David-Wache. Und sie liebten es: den Trubel vor der Tür, die szenigen Bars, das urbane Leben, sie beide mitten drin. Doch dann kam ihre Tochter Beke. Und St. Pauli war plötzlich nicht mehr so spannend, sondern nur noch nervig. Kein Parkplatz, Ärger im Haus, wegen des Kinderwagens im Flur, das Gegröle auf den Straßen nachts. Die Reeperbahn war für das Familienleben eher kontraproduktiv. "Acht Monate haben wir es in dem Stadtteil ausgehalten und währenddessen nach einer Wohnung im Grünen gesucht. Ohne Beke wären wir allerdings auf St. Pauli geblieben", sagt Lars Neumann. Seit 2002 wohnen der IT-Berater und seine Frau Kirsten, eine Lehrerin, mit ihrer Tochter in einer Doppelhaushälfte in Halstenbek. Damit liegen sie voll im Trend.

Hamburger Familien zieht es immer mehr in die Randbezirke und das Umland der Stadt. Die Folge: Hamburgs zentrale Stadtgebiete werden immer mehr zu Single-Hochburgen. Kinder sind dort eindeutig in der Minderzahl. Bei den Bezirken gibt es in Hamburg-Nord mit 63 Prozent die meisten Singles. In den Stadtteilen Barmbek-Nord, der Altstadt, Kleiner Grasbrook und Hammerbrook sind mehr als 70 Prozent der Haushalte Einpersonenhaushalte. Das ergab eine Sonderauswertung aus dem Melderegister des Statistikamts Nord.

+++ Haushalte vom Bezirk Mitte bis Bezirk Eimsbüttel +++

+++ Haushalte vom Bezirk Hamburg-Nord bis Bezirk Harburg +++

Insgesamt stieg der Anteil an Single-Haushalten im vergangenen Jahr in der Hansestadt um 1,5 Prozent auf 53 Prozent. Damit leben mehr als die Hälfte aller Hamburger alleine, 29 Prozent wohnen in Zweipersonenhaushalten, 18 Prozent sind zu dritt, 15 Prozent zu viert, und nur neun Prozent leben mit fünf oder mehr Personen in einer gemeinsamen Wohnung oder einem Haus.

Nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung wächst besonders die Zahl der 35- bis 55-Jährigen sowie die der über 70-Jährigen, die allein wohnen. Junge Eltern ziehen mit ihren Kindern hingegen am liebsten nach Allermöhe, Curslack und Tatenberg oder in die Walddörfer im Norden Hamburgs, wie Duvenstedt, Wohldorf-Ohlstedt oder auch Lemsahl-Mellingstedt. Denn sie bieten vor allem viel Natur, großzügige Häuser und viel Ruhe. All das, was in den stadtnahen Quartieren oft Mangelware ist. Singles meiden diese Viertel eher.

Es ist schwer, in den bei Singles beliebten Stadtteilen wie St. Georg, Rotherbaum, Eimsbüttel oder Eppendorf eine große und vor allem bezahlbare Wohnung zu bekommen. Die absolut meisten Haushalte mit Kindern sind in Rahlstedt, Billstedt, Bramfeld und auch Bergedorf zu finden. Dort sind Wohnungen für weniger Geld zu haben.

Manchmal dauert es lange, bis Familien eine geeignete Bleibe finden: Die Töbichs haben drei Jahre gesucht, bis sie eine Doppelhaushälfte im eher beschaulichen Niendorf gefunden haben. "Wir haben nach einem perfekten Haus mit Garten gesucht, bei dem auch das Umfeld stimmt", sagt die 46-jährige Heike Töbich, die zuvor mit ihrem Mann und Tochter Sarah in einer Zweieinhalbzimmerwohnung in Lokstedt wohnte. "Ich war mit Leo schwanger, und wir brauchten mehr Platz", erzählt die Touristikfachwirtin.

Den haben sie jetzt auf 150 Quadratmeter Wohnfläche plus Keller und dazu noch den großen Garten - ein Paradies für ihre beiden Kinder. Allerdings sei es hin und wieder fast zu idyllisch in Niendorf, sagt Heike Töbich. "Manchmal vermisse ich, dass man nicht schnell mal vor die Tür gehen kann und mitten im Leben ist." Man wohne fast ein bisschen ländlich und doch ziemlich zentral, sagen sie einhellig. Dazu der Carport vor der Tür, keine Parkplatzsorgen - perfekt. Ob sie auch noch bleiben, wenn die Kinder irgendwann ausziehen, wissen beide noch nicht. "Aber eine Wohnung mit einem kleinem Balkon würde ich nicht mehr wollen", sagt Thomas Töbich bestimmt.

Katharina Geßler würde hingegen gerne einen kleinen Balkon hinnehmen, wenn die Wohnung dafür möglichst zentral gelegen wäre. Seit rund einem halben Jahr sucht die Journalistin mit ihrem elf Jahre alten Sohn Bendix nach einer Dreizimmerwohnung in Eimsbüttel, St. Georg oder Winterhude. "Ich wäre bereit, bis zu 900 Euro zu zahlen, das ist viel Geld. Aber als alleinerziehende Mutter habe ich schlechte Karten", sagt sie. Sie muss bei der Apartmentsuche fast immer mit Doppelverdienern ohne Kinder konkurrieren, die im gleichen Wohnsegment suchen wie sie. "Die Vermieter bevorzugen eindeutig die Leute mit zwei Gehaltszetteln und ohne Nachwuchs", sagt Geßler, die mit Bendix derzeit in Billstedt wohnt.

Rund 27 Prozent der Kinder (insgesamt 73 000) in Hamburg leben in einem Alleinerziehenden-Haushalt, von denen es am meisten in Dulsberg, Sternschanze, Hamm-Süd, Barmbek-Nord und auf St. Pauli gibt. Hier lebt in über 40 Prozent aller Haushalte mit Kindern nur ein alleinerziehender Erwachsener. Vor allem auf St. Pauli stieg diese Quote im Vergleich zum Vorjahr von 39 auf 42 Prozent. Auch Katharina Geßler lebte früher auf St. Pauli. Aber genauso wie die Neumanns fand sie diesen Stadtteil nicht sehr kindgerecht. Auch Billstedt war eher eine Notlösung. "Ich habe schon vor elf Jahren nach einer Dreizimmerwohnung in den zentralen Stadtteilen gesucht, aber die Situation war damals so schlecht wie heute." Vor allem weil sie zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer braucht. "Die meisten Wohnungen hatten aber zwei große und ein winziges Zimmer. Das passte nicht." In Billstedt wohnt sie großzügig auf 80 Quadratmetern für 700 Euro warm. Sie hat zwei Balkone, kann den Garten mitbenutzen. Als ihr Sohn klein war, passte das. "Aber das soziale Umfeld wird zunehmend schwieriger. Es gibt hier zu viele junge Leute ohne Bildung und Perspektive", sagt die 50-Jährige. Es sei Zeit für sie, wieder urbaner zu wohnen, mit schönen Restaurants, Bars und einem Kino in der Nähe. Katharina Geßler würde gerne gegen den Trend wieder in die Innenstadt ziehen - wenn es nur bezahlbar wäre.