Der Elfjährige bleibt verschwunden. Großmutter sagt jedoch: “Ich gehe davon aus, dass sich noch in dieser Woche etwas ergeben wird.“

Hamburg. Drei Wochen und zwei Tage ist es her, dass der elfjährige Jeremie aus seiner Unterbringung bei einer Zirkusfamilie in Mecklenburg verschwand, zehn Tage sind vergangen, seit sich Jugendbehörde und die leiblichen Großeltern des Kindes vor einem Familienrichter trafen - und nach Darstellung beider Seiten eine Einigung erzielten. Doch noch immer ist der Junge, den Ermittler bei Verwandten vermuten, nicht aufgetaucht. Die Großeltern - bei ihnen war Jeremie bis zum neunten Lebensjahr aufgewachsen - erwarten offenbar vom Jugendamt eine Zusage, dass Jeremie langfristig bei ihnen bleiben darf. Doch die wird das Bezirksamt Mitte kaum bedingungslos geben. Der Vormund, so heißt es in der Behörde, will Jeremie zunächst sehen und dann gemeinsam mit den Großeltern an einer einvernehmlichen Lösung arbeiten.

Öffentlich behaupten die Großeltern des Problemkindes weiterhin, dass sie nicht wüssten, wo Jeremie zu finden sei. "Ich gehe aber davon aus, dass sich noch in dieser Woche etwas ergeben wird", sagte seine Großmutter Rosita A. gestern. Sie sehe sich nicht in der Lage, Jeremie zum Amt zu bringen. "Ich weiß nicht, wo er sich aufhält", so Rosita A. "Wir warten auf ein Signal vom Jugendamt." Im Bezirksamt hieß es auch gestern, dass die Situation unverändert sei. Sprecherin Sorina Weiland: "Die Fahndung läuft weiter." Bei den Ermittlern gehen allerdings kaum noch Hinweise auf den möglichen Aufenthaltsort des Jungen ein. Polizeisprecherin Karina Sadowsky: "Mehr als 20 Wohnungen sind durchsucht worden, davon allein 16 an einem Tag. Wir haben insgesamt etwa 25 Hinweise aus der Bevölkerung erhalten. Eine heiße Spur hat sich nicht ergeben." Unter Ermittlern wird auch die Informationspolitik des Bezirksamtes kritisiert. Man werde "dumm gehalten", bemängelt ein Beamter. Die Polizei Rostock ermittelt weiterhin wegen des Verdachtes der Kindesentziehung.

"Senator Scheele lässt sich seit mehr als einer Woche Bedingungen des Großvaters des Jungen diktieren und macht Hamburg und die Sozialbehörde erpressbar", sagte Walter Scheuerl, parteiloses Mitglied der CDU-Fraktion gestern zum Fall Jeremie. "Obwohl der dringende Verdacht einer Entziehung Minderjähriger besteht, obwohl seit mehr als drei Wochen über den Gesundheitszustand des Jungen nichts bekannt ist, handelt Senator Scheele offenbar nach dem Prinzip ,aus den Augen, aus dem Sinn'."

Würde Jeremie nicht aus einer Sinti-Familie stammen, so Scheuerl weiter, hätten die Behörden längst alle Maßnahmen ergriffen, Wohnungen durchsucht und wahrscheinlich auch eine Belohnung für Hinweise ausgelobt. Scheele trage die volle persönliche Verantwortung, wenn dem Jungen in der Zwischenzeit etwas zugestoßen sein sollte oder seine Gesundheit Schaden genommen habe. Formell für den Jungen verantwortlich ist allerdings das Jugendamt Mitte, das den Vormund für Jeremie stellt. Für Christoph de Vries (CDU) bleibt die Frage, wo der Junge nach seiner Rückkehr untergebracht werden kann und warum es nicht genügend Angebote für Kinder wie ihn in Hamburg gibt. "Wir werden hier auch noch einmal die Rolle des Landesbetriebs für Erziehung und Beratung hinterfragen", so de Vries. Der familienpolitische Sprecher der CDU-Fraktion hat deshalb bereits eine Anfrage an den Senat gestellt. Zum einen will er wissen, ob beim LEB angefragt worden ist, ob dieser Jeremie aufnehmen könnte.

Zum anderen ist für de Vries nach wie vor nicht klar, warum Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) den stadteigenen Träger nicht anweist, die benötigten Plätze für Fälle wie Jeremie zu schaffen. "Es ist die Frage, ob der Landesbetrieb nicht in erster Linie in die Pflicht zu nehmen wäre." Die Kritik Scheeles an den freien Trägern bezeichnet de Vries als Schnellschuss. Christiane Blömeke (Grüne) appelliert an die Familie, den Jungen in die Obhut des Jugendamts zu geben, damit seine Zukunft vernünftig geplant werden kann. Blömeke: "Unsere Kritik, dass Jeremie im Zirkus nicht engmaschig genug betreut wurde, hat sich nochmals verstärkt. Es gibt vergleichbare Zirkusprojekte - bei denen ausgebildete Pädagogen die Betreuung übernehmen. Ungewöhnlich hoch bleibt für uns die Bezahlung der Zirkusmutter." Die Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Sozialpolitikerin ergab, dass drei Jugendliche aus Hamburg derzeit im Ausland betreut werden. Blömeke: "Diese Form der Unterbringung sollte es nicht mehr geben. Hier werden wir weiter nachfragen."