Iskenderun. Christian Unger und Reto Klar berichten aus dem Erdbeben-Gebiet in der Türkei. In einem Reporter-Tagebuch schildern sie ihre Eindrücke.

Zehntausende Tote, Leichen unter Beton und Schutt. Die schmerzliche Statistik klettert Tag für Tag. Doch wie viel ein einziges Menschenleben wert ist, erleben wir 112 Stunden nach dem Beben.

An einem Trümmerhaufen in der türkischen Stadt Kahramanmaras, das mal ein mehrstöckiges Wohnhaus war, klettern Helfer auf dem Schutt. Sie bilden eine Kette, Polizisten sichern die Wege zur Straße, wo sich ein paar Hundert Menschen ansammeln.

Ein kleines Mädchen vor einem Berg aus Schutt und Asche.
Ein kleines Mädchen vor einem Berg aus Schutt und Asche. © Reto Klar / FUNKE Foto Services

Dann tragen sie eine Frau unter einer Decke auf einer Trage den Hang runter von den Trümmern, bringen sie in einen Krankenwagen. In einer Hohlkammer unter dem Schutt hat sie mehr als vier Tage überlebt.

Die Menschen auf der Straße jubeln, viele filmen die Szene mit ihrem Handy. Die Retter umarmen sich, feiern sich. Auch wir klatschen für einen Moment, verlassen unsere Rolle des beobachtenden Reporters, werden mitgetragen von den Emotionen.

Wir merken, wie sehr sich Menschen an den Augenblick der kleinen Sensationen klammern, wenn die Welt um sie herum zusammengebrochen ist. Ein Menschenleben — es ist so viel wert.

Das sind die großen, bewegenden Momente dieser Katastrophe, deren verheerendes Ausmaß stündlich wächst.

Reto Klar (links) und Christian Unger in Iskenderun im türkischen Erdbebengebiet
Reto Klar (links) und Christian Unger in Iskenderun im türkischen Erdbebengebiet © Reto Klar/FUNKE | Reto Klar/FUNKE

Erdbeben in der Türkei: Reporter zwischen Emotionen und Arbeit

Doch in der Krise gibt es auch das Banale. Den Alltag. Vielmehr vor allem für uns, die Reporter, die hier sind, weil es Arbeit ist. Nicht weil wir unsere Angehörigen beerdigen müssen.

Dieser Reporter-Alltag beginnt am Morgen mit einer schlechten Nachricht: der Dolmetscher, den wir am Abend vorher kontaktiert hatten, sagt uns kurzfristig ab.

Gerade in den kleinen Städten und Dörfern in den Bergen sprechen nur wenige Menschen Englisch. Um ihre Geschichten wirklich zu verstehen, braucht es Zeit für Gespräche. Und einen Übersetzer. Wir beschließen, dass wir improvisieren — und auf Hilfe vor Ort setzen.

Reporter-Tagebuch aus dem Erdbebengebiet: Menschen suchen verzweifelt Unterkünfte

Die Straßen in die Erdbebengebiete sind voll. Immer wieder stehen wir im Stau. Krankenwagen passieren uns, Polizeifahrzeuge, aber immer wieder auch Lastwagen mit Hilfstransporten.

Türkei: Ein demoliertes Auto im verwüsteten Erdbebengebiet.
Türkei: Ein demoliertes Auto im verwüsteten Erdbebengebiet. © Reto Klar / FUNKE Foto Services

Kurz vor Mitternacht, am Ende eines langen Tages, erreichen wir wieder unser Hotel in der Großstadt Adana, sie liegt am Rand des Erdbebengebiets. In der Lobby steht eine Familie. Eine junge Frau mit ihrem Mann, eine ältere Frau, vielleicht die Mutter. Die Jüngere zeigt Bilder auf Handy, Aufnahmen von Kahramanmanas. Auch hier, immer wieder: kaputte Wohnhäuser, Schutthaufen.

Auch das Haus der Familie wurde durch das Erdbeben zerstört, erzählt uns die Frau. Wie viele andere Menschen schauen sie nun, wo sie unterkommen. Nach ein paar Minuten meldet sich der Mann an der Rezeption bei der Familie. Mit guten Nachrichten: Ein Zimmer ist noch frei.