Berlin. Geologen wissen, an welchen Orten das Erdbeben-Risiko hoch ist. Wann sie ausbrechen, weiß aber niemand. Warum eine Vorhersage „unmöglich“ ist.

Für viele Menschen in der Türkei und Syrien kam die Reihe schwerer Erdbeben am Montag wie aus dem Nichts. Sie wurden im Schlaf überrascht, ohne Vorwarnung. Fachleute haben in der Region mit einer Katastrophe gerechnet: „Es war eine Frage der Zeit, dass so etwas passiert“, sagte Seismologe Marco Bohnhoff vom Deutschen Geo-Forschungszentrum (GFZ) dem Spiegel. Wo ein Beben wahrscheinlich ist, können Forscher vorhersagen – nur nicht den genauen Zeitpunkt.

Forscher kennen durchaus die Orte, an denen das Risiko für Erdbeben hoch ist. Sie wissen auch, welche Ausmaße die Erschütterungen dort annehmen können und ob die Wahrscheinlichkeit dafür ansteigt. Es gibt aber kein System, das vorhersagen kann, wann genau die Erde bebt. Das sagt auch GFZ-Forscher Oliver Heidbach auf Anfrage: „Es ist unmöglich, den genauen Zeitpunkt eines Bebens vorherzusagen.“

Erdbeben: Keine Vorhersage, kaum Frühwarnung

Vor Erdbeben gewarnt werden können Bewohner erst, wenn die Beben schon losgebrochen sind. Die Daten zum Beben müssen dann bis in die umliegenden Orte übertragen werden, bevor diese von der seismische Welle erreicht werden. Bei den bisherigen Systemen sei die Datenübertragung zwischen 30 und 60 Sekunden schneller. „Dann kann man vielleicht gerade noch die Gasleitung abschalten und U-Bahn anhalten“, meint Heidbach.

Laut GFZ-Seismologe Marco Bohnhoff würden Geologen für die genaue Vorhersage eines Erdbebens zu wenig „über die komplizierten tektonischen Prozesse, die kilometertief unter unseren Füßen auftreten“ wissen. Beben würden entstehen, wenn die Energie, die durch die Reibung von Gestein entsteht, die Festigkeit des Gesteins überschreite. „Dann läuft der Bruch los und wächst zu einem Megabeben – oder nicht“, beschrieb Bohnhoff vor wenigen Wochen auf der Webseite des GFZ.

Geologen können laut Bohnhoff diesen Prozess simulieren, indem sie Gesteinsstücke im Labor kontrolliert verformen. „Aber zwischen einem Stück Stein in einer Presse und zig Quadratkilometer großen Bruchflächen in der Erdkruste ist ein riesiger Unterschied“, erklärte Bohnhoff. Für eine realistische Simulation fehlten Daten von den tektonischen Plattengrenzen.

GFZ-Experte fordert teure Forschungsstationen am Meeresboden

Um diese Daten zu beschaffen, schlägt Marco Bohnhoff mit weiteren Forschern vor, besondere Observatorien an Erdbeben-Hotspots zu bauen. Diese müssten mit verschiedenen Messgeräten am Meeresboden errichtet werden. Zwischen mehreren hundert Millionen und einer Milliarde Euro könnten zehn solcher Observatorien kosten, schätzt Bohnhoff. Mit denen könnten Forscher die gefährdeten Gebiete wie die Türkei oder Kalifornien genau überwachen, um langfristig Daten für eine Vorhersage zu gewinnen.

Die Türkei ist Seismologen und Geologen schon lange als Gebiet mit hohem Risiko bekannt. Fachleute rechneten bisher vor allem an der Nordanatolischen Verwerfung nahe Istanbul mit einem Beben. Die Katastrophe am Montag ging aber von der ostanatolischen Verwerfungszone im Südosten der Türkei aus. Dort schrammen die anatolische und arabische Platte aneinander. Die dabei entstehende Spannung habe sich dem GFZ zufolge in den vergangenen 100 Jahren angestaut und nun entladen.