Vor genau einem Jahr ist Ungarn von einer Umweltkatastrophe heimgesucht worden. Zehn Menschen starben im giftigen roten Schlamm.

Budapest. Plötzlich war das Inferno da: In die liebliche Hügellandschaft um Ajka, 160 Kilometer westlich von Budapest, ergoss sich ätzende Brühe. Meterhoch stand am 4. Oktober 2010 giftiger roter Schlamm in den Häusern der Dörfer Devecser, Kolontar und Somlovasarhely, die hangabwärts von der Aluminiumfabrik MAL liegen. Zehn Menschen starben, darunter zwei Kleinkinder. Mehr als 150 Menschen wurden verletzt, einige von ihnen erlitten schwere Verätzungen - verursacht von der laugen- und schwermetallhaltigen Brühe, die bei der Aluminiumgewinnung übrigbleibt.

Zwar ist kaum einer der Betroffenen mehr obdachlos. Neue Häuser wurden gebaut, weitere 125 Familien kauften mit staatlicher Hilfe bereits vorhandene Häuser in der Umgebung. Von 363 Gebäuden, die der rote Schlamm überschwemmte, mussten 306 abgerissen werden. Allein für die betroffenen Haushalte wurde der Sachschaden auf eine Milliarde Forint (etwa 3,4 Millionen Euro) beziffert. Weitere 1,8 Milliarden Forint Schaden gaben lokale Unternehmen an.

Die Regierung hat nach eigenen Angaben bisher 20 bis 25 Milliarden Forint für die Säuberung des Geländes ausgegeben und sagt, diese sei nun abgeschlossen. Auf manchen Ackerflächen ist allerdings immer noch eine rote Färbung zu sehen. Verseucht wurden 800 Hektar Ackerland, dazu Fischteiche und Bäche - auf einer Gesamtfläche von 40 Quadratkilometern. Finanziert wurden Hilfen und Wiederaufbau bisher vom Staat, aus Spenden und Zahlungen der Unglücksfirma MAL, auf die man sich außergerichtlich geeinigt hat.

Das strafrechtliche Nachspiel folgt noch. Im Dezember wird ein Gerichtsurteil erwartet, von dem die Betroffenen hoffen, dass es im Grundsatz die strafrechtliche Verantwortung von MAL festschreibt. Danach könnte es zu Schadenersatzklagen kommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den MAL-Geschäftsführer sowie gegen 14 Angestellte der Firma. Ab Mitte Oktober soll sich zudem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit dem Fall befassen.

Internationale Umweltschutzorganisationen fürchten, dass solche Katastrophen in osteuropäischen Bergwerken jederzeit wieder passieren können. Man wisse nicht, „wie viele giftige Zeitbomben in Osteuropa noch ticken“ beklagt der World Wide Fund for Nature (WWF). Zwar habe die EU eine brauchbare Bergbaurichtlinie, jedoch sorge niemand dafür, dass sie konsequent umgesetzt wird.

Die Unglücksfabrik MAL hat zwei Wochen nach dem Unglück wieder zu arbeiten begonnen. Später wurde eine angeblich weniger gefährliche Technologie eingeführt. Die Regierung in Budapest ist entschlossen, das vorerst noch privat betriebene Werk nicht schließen zu lassen - wohl wegen der Arbeitsplätze, die das wirtschaftlich angeschlagene Ungarn braucht. 1200 Menschen arbeiten bei MAL, mit Zulieferbetrieben garantiert das Werk insgesamt 6000 Arbeitsplätze.

Was kein Geld und kein Regierungsprogramm heilen kann, ist der immaterielle Schaden. Die Giftbrühe hat auch Familienerinnerungen mit sich gerissen und jahrzehntealte nachbarschaftliche Beziehungen zerstört. „Das Herz schmerzt noch überall“, sagte die 68-jährige Aniko Csaszar aus Devecser der Internet-Zeitung „origo.hu“. In ihrem neuen Heim in Ajka sehnt sie sich nach dem alten Zuhause. „38 Jahre lang habe ich dort gewohnt“, sagt sie, „dort habe ich sogar im Dunkeln immer meine Schere gefunden“.