Nach dem Unfall mit giftigem Bauschlamm in Ungarn werden die Schuldigen gesucht. Doch niemand will wirklich verantwortlich sein.

Ajka/Budapest. Es sind bereits gut drei Wochen vergangen, seit eine Giftschlammlawine aus dem Abfallbecken eines Aluminiumbetriebs mehrere Dörfer im Westes Ungarns überschwemmte. Doch noch immer steht die Frage im Raum, wer dafür die Verantwortung übernimmt. Immerhin starben neun Menschen, rund 150 wurden von der Brühe zum Teil schwer verätzt. Hunderte Häuser sind unbewohnbar und gut 4000 Hektar Felder und Wohnfläche unfruchtbar.

Auch die Langzeitfolgen sind noch nicht absehbar. Der Giftschlamm enthielt nämlich auch hochgiftige Schwermetallrückstände. Seitdem die Brühe getrocknet ist, wirbeln diese im Feinstaub durch die Luft - und werden von den Bewohnern der Region eingeatmet.

Der Betreiber des Lagerbeckens, die Ungarische Aluminium-AG (MAL) in der Kleinstadt Ajka, weist jede Verantwortung von sich . In einer ersten Reaktion behauptete MAL-Generaldirektor Zoltan Bakonyi sogar, der Schlamm sei „nicht gefährlich, nur eben baden braucht man nicht unbedingt darin“. Die geschädigte Bevölkerung empfand das als zynisch. „Warum liegen immer noch hundert Menschen in den Krankenhäusern?“, entgegnete der Bürgermeister von Ajka, Bela Schwartz. „Viele von ihnen werden bleibende Schäden an Augen und Haut davontragen.“

Budapester Politiker versuchten sich ebenso herauszuwinden und waren schnell mit Schuldzuweisungen an die Europäische Union (EU). Brüssel habe diesen Bauxitschlamm gar nicht als gefährlichen Sondermüll klassifiziert, meinte Umweltstaatssekretär Zoltan Illes. EU-Kommissionssprecher Joe Hennon bezeichnete dies auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa als „Ablenkungsmanöver“. Die Lagerung des Schlammes werde sehr wohl durch EU-Direktiven geregelt. „Die Kommission erwartet mit Gewissheit eine Untersuchung der ungarischen Regierung, was da genau vorgefallen ist“, fügte er hinzu.

Kenner der Branche in Budapest verweisen darauf, dass Ungarn unabhängig von EU-Direktiven immer auch die Wahl hat, deutlich strengere Vorschriften zur Lagerung von unbearbeitetem Rotschlamm zu erlassen - und dies auch hätte tun müssen. Denn in westlichen Ländern sei die offene Lagerung des gefährlichen Abfallschlammes - wie am Unglücksort Ajka - praktisch schon nicht mehr üblich. Dort werden die Giftstoffe vor der Endlagerung extrahiert und entsorgt.

Auch die Kontrolle der bestehenden Sicherheitsvorschriften war im Kompetenzwirrwarr untergegangen . So berufen sich die MAL-Chefs darauf, dass das Umwelt-Inspektorat den Betrieb am 23. September - anderthalb Wochen vor der Katastrophe - geprüft und nichts beanstandet habe. Doch die Begutachtung der Beckendämme auf ihre statische Sicherheit fiel gar nicht in die Kompetenz des Inspektorats. Wie sich zeigte, sind dafür die kommunalen Baubehörden zuständig. Die sind wiederum bei komplexen Industrieanlagen fachlich überfordert. Illes forderte deshalb, dass der ungarische Staat nun diese Aufgabe übernimmt.

Wegen Unwirtschaftlichkeit wurde der Bauxitabbau auch in Ungarn schon stark reduziert. Neben dem MAL-Werk gibt es weitere Lagerbecken in Almasfüzitö, praktisch am Ufer der Donau, und in Mosonmagyarovar nahe der österreichischen Grenze. Die Gefahr eines Unglücks in diesen Anlagen ist Experten zufolge geringer als in Ajka, weil der Schlamm dort nach einer längeren Lagerung schon stark eingedickt sei und deshalb weniger leicht ins Rutschen komme.

„Die Sicherheit dieser Anlagen mag schlechter sein als die der westeuropäischen“, sagte der Sprecher von Greenpeace Ungarn, Marton Vay. „Aber sie ist immer noch besser als in vielen Teilen Asiens und Afrikas.“ Seiner Ansicht nach könnten Giftmüll-Unglücke dieser Art jedoch nur durch eines verhindert werden: Eine Veränderung des Konsumverhaltens. „Wenn wir weiter auf allerlei Zeug aus billigem Aluminium bestehen wie Schokoladeriegelverpackungen und Getränkedosen, dann werden Katastrophen wie diese weiter passieren.“