Eine Million Kubikmeter roter Industrieschlamm ergoss sich aus einem geborstenen Speicher. Die giftige Masse löste ein ökologisches Desaster aus.

Budapest. Ungarns Natur und die Menschen von bisher schlimmster Umweltkatastrophe bedroht: Eine Lawine aus giftigem Bauxitschlamm aus einer Aluminiumhütte hat im Westen des Landes vier Menschen in den Tod gerissen. Mehrere Dörfer wurden überschwemmt. Unter den Toten in der Gemeinde Kolontar waren zwei Kleinkinder, bestätigten die Behörden am Dienstag. Mehr als hundert Menschen wurden verletzt. Sie erlitten vor allem Verätzungen an Haut und Augen durch die Giftstoffe in der Schlammlawine. Die Rettungskräfte suchten noch nach sechs Vermissten. Die Ursache für das Unglück ist unklar.

Bis Dienstagmittag trat eine Million Kubikmeter Schlamm aus, sagte der ungarische Umweltstaatssekretär Zoltan Illes. Einsatzkräften gelang es bislang nicht, das Leck zu stopfen. Bauxit ist der wichtigste Rohstoff für die Aluminiumproduktion. Die Regierung verhängte für die westungarischen Bezirke Veszprem, Vas und Györ den Notstand.

Den Einsatzkräften bot sich ein Bild der Verwüstung. In Kolontar und der benachbarten Kleinstadt Devecser stand der rote Bauxitschlamm meterhoch. Die Schlammlawine begrub Hunderte Häuser, Autos und Gärten unter sich. Tote Fische aus dem Fluss Marcal wurden an die Ufer geschwemmt. „Ich finde keine Worte dafür“, zitierte das Internet- Portal „nol.hu“ einen 25-jährigen Mann. „Ich rannte auf den Kirchhügel und musste zusehen, wie die Flut einfach mein Auto verschlang.“

Zu der Chemie-Katastrophe kam es, nachdem am Montag aus bisher ungeklärten Gründen ein Bauxitschlamm-Speicher der Aluminiumhütte MAL AG. geborsten war. Die giftige Masse strömte in einen Bach und vermengte sich mit dem Hochwasser, das schon seit mehreren Tagen die Gegend heimsucht.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban vermutet menschliches Versagen als Unglücksursache. Es gebe keine Hinweise auf eine natürliche Ursache, sagte der Regierungschef zur Begründung. Daher liege die Annahme nahe, dass die Schlammlawine durch fehlerhaftes menschliches Verhalten ausgelöst worden sei. Orban schloss zugleich eine radioaktive Verstrahlung der Region aus.

Die Lawine überschwemmte den Ort Kolontar und mehrere benachbarte Ortschaften. 400 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Nachdem der Schlamm den Marcal-Fluss erreicht hat, könnten sich die Schadstoffe weiter in die Raab und die Donau ausbreiten, sagte Umweltstaatssekretär Illes. Eine Fläche von 40 000 Quadratkilometern sei gefährdet. Der Schaden sei vorerst noch nicht zu ermessen.

Die Katastrophe lenkte das Augenmerk auf die immer noch schwierige Umweltsituation in Mittel- und Osteuropa. Im Januar 2000 war im nordwestrumänischen Baia Mare, unweit der ungarischen Grenze, ein Reservoir mit zyanidhaltigem Klärschlamm aus einem Goldbergwerk geborsten. Die Giftwelle hatte im ungarischen und serbischen Abschnitt der Theiß ein massives Fischsterben ausgelöst.

Der Bauxitschlamm in Kolontar wird - wie der Klärschlamm in Baia Mare - in offenen Speichern gelagert. Der rote Schlamm ist ein Nebenprodukt bei der Erzeugung von Tonerde (Aluminiumoxid), aus der wiederum Aluminium gewonnen wird. Das Aluminiumwerk MAL AG. mit der Hütte im westungarischen Ajka und Reservoirs bei Kolontar hatte früher zu einem staatlichen Aluminium-Kombinat gehört und war nach der Wende privatisiert worden.