Nach dem schweren Erdebeben, von dem jeder dritte Haitianer betroffen ist, hat US-Präsident Barack Obama ein Hilfspaket geschnürt.

Port-au-Prince / Santa Domingo / Washington. Dramatische Szenen in der vom Erbeben verwüsteten Hauptstadt Haitis: Menschen versuchen verzweifelt Verschüttete frei zu bekommen, die unter tonnenschweren Betonblöcken ganz oder teilweise begraben liegen. Insgesamt 18 Stunden verbrachte ein etwa 15-jähriges Mädchen unter den Trümmern eines völlig zerstörten Hauses im Zentrum von Port-au-Prince. Die Helfer, darunter der Bruder, haben nur eine einzige Schaufel zu Verfügung. Langsam und vorsichtig räumen sie Steinbrocken weg. Sie haben Angst, dass die Betonplatte absackt. Das Mädchen wimmert und schreit. Dann zeigen Fernsehbilder, wie sie nach mehr als fünf Stunden heikler Arbeit aus den Trümmern gezogen wird. Sie hat überlebt – mit Glück.

„Ich hatte keine Angst“, sagt sie tapfer. Aber die Stunden müssen eine Ewigkeit gewesen sein. Sie verlor im selben Haus eine Tante und sie hörte, wie eine andere Frau unter ihr rief: „Ich sterbe.“ Ein etwa 40-jährige Mann hebt mitten in den Trümmern die Arme zum Himmel und weint. „Ich habe meinen Vater verloren.“ Das Haus war nur eines von zahlreichen Gebäuden, die dem gewaltigen Erdbeben vom Dienstag mit einer Stärke von 7,0 nicht standhielten. Nicht weit davon stand der massive Präsidentenpalast, der durch die Erschütterungen einfach in sich zusammen sackte. Auch die Kathedrale wurde schwer beschädigt.

Viele Haitianer, die versuchten, Verschüttete frei zu bekommen, fürchteten weiterhin Nachbeben. Das wäre für viele der unter den Trümmern liegenden Verletzen der sichere Tod. Auch in der zweiten Nacht nach dem Erbeben schliefen tausende Menschen auf den Straßen. Dort liegen noch immer notdürftig mit weißen Lacken bedeckte Leichen. Für die Verletzten gab keine ausreichende medizinische Versorgung. Die internationale Hilfewelle läuft zwar an, der Weg in das Katastrophengebiet ist aber schwierig.

US-Präsident Barack Obama hat ein Hilfspaket von 100 Millionen Dollar für die Erdbeben-Opfer in Haiti angekündigt. Dieser ersten Nothilfe werde weitere folgen, sagte Obama am Donnerstag auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus. Die US-Regierung habe „eine der größten Hilfsaktionen unserer jüngeren Geschichte“ auf den Weg gebracht. Die ersten amerikanischen Sanitäter und Rettungsteams zur Bergung von Verschütteten seien bereits vor Ort.

Luftaufnahmen, von TV-Sendern aus dem Hubschrauber aufgenommen, zeigten ein Bild des Grauens. Auch in der Umgebung von Port-au-Prince waren völlig zerstörte Häuser zu sehen. Ob sich dort Menschen zum Zeitpunkt des Bebens aufhielten, war zunächst noch unklar. Ungewiss ist auch, wie viele Menschen bei der Katastrophe ums Leben kamen, es werden aber Zehntausende Tote befürchtet. Während der Nacht brannten in vielen Teilen der Stadt Feuer, um wenigstens etwas Licht in die Dunkelheit zu bringen.

Währenddessen sammelten sich im Nachbarland Dominikanische Republik die Hilfsteams aus aller Welt. Nahrungsmittel, Medikamente, Zelte und Suchhunde wurden auf den Weg nach Port-au-Prince gebracht. Doch der Weg ist mühsam. Haiti ist weiterhin weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Die Infrastruktur ist weitgehend zerstört. Auch telefonisch war am Donnerstag kaum ein Durchkommen möglich. Der Tower des Flughafens wurde schwer beschädigt. Drehkreuz ist derzeit die Hauptstadt des Nachbarstaates, Santo Domingo.

Dort trafen in der Nacht zum Donnerstag und am frühen Morgen immer mehr Rettungs-Teams ein: Eine Staffel mit Suchhunden aus Spanien, ein Team der Deutschen Welthungerhilfe aus Deutschland und zahlreiche Helfer aus vielen anderen Ländern. Auf dem Flughafen kamen auch immer mehr Reporter und Journalisten aus aller Welt ein. Sie alle steuerten zunächst Santo Domingo an, um dann irgendwie auf dem Landweg oder mit dem Hubschrauber nach Haiti zu kommen. „Mit dem Auto braucht man, wenn alles gutgeht und es keinen Stau an der Grenze gibt, drei Stunden von hier zur Grenze und dann noch einmal zwei Stunden nach Port-au-Prince“, sagt ein Helfer.

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Doch niemand weiß, wie es um die Straßen nahe der haitianischen Hauptstadt bestellt ist. Womöglich dauert die sonst fünfstündige Autofahrt von Santo Domingo nach Port-au-Prince einen Tag. Die umfassende Hilfe aus der ganzen Welt wird jedenfalls nicht so rasch dort eintreffen, wo sie so dringend benötigt wird. Ein spanischer Retter sagt in Santo Domingo: „Wir sind gekommen, um nach Überlebenden in den Trümmern zu suchen.“ Doch wann er mit seinen Hunden am Einsatzort sein würde, wusste er nicht.

Um die Situation möglichst bald zu verbessern, wurde bereits am Mittwoch damit begonnen, auf dem Flughafen von Port-au-Prince einen provisorischen Kontrollturm zu errichten. Im Flughafengebäude tagt seit Mittwoch zudem die Notstandskommission. Sie besteht aus Mitgliedern der haitianischen Regierung, Mitarbeitern der internationalen Organisationen und vor allem aus Experten der UN- Mission Minustah.

Die Kommission wird vom lateinamerikanischen „Desaster Response Team“ dabei unterstützt, auf dem Flughafen in aller Eile ein Logistikzentrum aufzubauen, das die erwarteten riesigen Mengen von Hilfsgütern aufnehmen, lagern und verteilen soll. Das Team besteht aus amerikanischen Freiwilligen des deutschen Logistikunternehmens DHL. Sie werden von der Bonner Firma freigestellt, um die Hilfslogistik sicherzustellen. Der Panamaer Virgilio Mora sagt: „Wenn der Tower am Flughafen wieder steht, brauchen wir noch 24 Stunden, um die Infrastruktur herzurichten. Dann können die Hilfslieferungen in großem Stil beginnen.“