Auf Haiti sind zahlreiche Rettungskräfte eingetroffen, der beschädigte Flughafen erwies sich als größtes Hindernis. Ein US-Flugzeugträger soll für Entlastung sorgen. Brasilien bietet den Bau eines Friedhofs an.

Port-au-Prince/Washington/Brasilia. Dramatische Lage für die Bebenopfer Haitis: Während sich Rettungsteams aus aller Welt nach Haiti aufmachen, kommt die Hilfe in den vielfach von Leichen übersäten Straßen der vom Beben zerstörten Hauptstadt nur langsam an. Korrespondenten internationaler Fernsehsender berichteten in der Nacht zum Freitag von dramatischen Szenen und einer zunehmend verzweifelten Bevölkerung in Port-au-Prince.

Wegen ausbleibender Hilfe hätten aufgebrachte Haitianer Straßensperren aus Leichen errichtet. Noch immer graben die Menschen zumeist mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden. Bereits die dritte Nacht in Folge verbrachten die meisten Einwohner von Port-au-Prince im Freien; aus Angst vor Nachbeben oder weil ihre Häuser zerstört sind.

Im Laufe des Tages soll in den Gewässern vor Haiti der US- Flugzeugträger „Carl Vinson“ mit 19 Hubschraubern und tausenden Soldaten eintreffen. Von ihm erhoffen sich die Hilfsorganisationen eine Beschleunigung der Rettungsarbeiten. Die USA wollten außerdem sechs weitere Schiffe auf den Weg schicken.

Das Deutsche Rote Kreuz will heute von Berlin aus eine mobile Klinik nach Haiti schicken, die 30.000 Patienten ambulant versorgen kann. Das Lazarett-Team besteht aus sechs bis acht Ärzten, Krankenschwestern und Technikern.

Der beschädigte Flughafen der Hauptstadt erwies sich als größtes Hindernis für ein rasches Anlaufen der Rettungsarbeiten. „Dank der sofortigen Hilfe so vieler Staaten haben wir sehr viel Personal und Hilfsgüter. Aber wir müssen sie ja auch ins Land bringen. Die Flughäfen sind der Flaschenhals“, klagte UN- Nothilfekoordinator John Holmes in New York.

Den Helfern, die Port-au-Prince erreichten, bot sich ein Bild von Chaos, Tod und Verwüstung. Zwischen Leichenbergen und Ruinen irrten tausende verletzt, hungernd und traumatisiert durch die Trümmerstadt. Erste Plünderungen wurden gemeldet. Bald läuft die 72-stündige Frist aus, die nach einem Beben für die Rettung von Verschütteten so wichtig ist. Ein Mensch kann etwa drei Tage ohne Trinken auskommen. Danach wird es kritisch.

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Haitis Regierung befürchtet zwischen 50000 und 100000 Tote. Etwa drei der neun Millionen Einwohner Haitis sind nach Angaben des Roten Kreuzes in Not. Aus Angst vor dem Ausbruch von Seuchen hat Brasilien den Bau eines Friedhofs für tausende Erdbeben-Tote in Haiti angeboten. Dabei werde auf die in dem Karibikstaat weit verbreitete Voodoo-Religion Rücksicht genommen, erklärte das Verteidigungsministerium in Brasilia.

Das gesamte Ausmaß der Katastrophe ist bisher aber ebenso unklar wie das Schicksal vieler der knapp 100 Deutschen in dem Inselstaat. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, eine Gruppe von sechs Bundesbürgern sei zurück nach Deutschland geflogen. Andere seien über den Landweg in die benachbarte Dominikanische Republik ausgereist.

Die weltweite Betroffenheit löste eine gigantische Welle der Hilfsbereitschaft aus. US-Präsident Barack Obama sagte 100 Millionen US-Dollar zu. Haiti habe derzeit oberste Priorität für seine Regierung, sagte Obama. Auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds machten Zusagen in Höhe von je 100 Millionen Dollar. Schauspieler George Clooney und viele seiner Kollegen wollen eine TV-Spendenaktion ins Leben rufen. Auch wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) haben „sofortige wirtschaftliche und materielle Hilfe“ für die Erdbebenopfer in Haiti angekündigt.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy machte sich unterdessen für eine internationale Wiederaufbau-Konferenz für Haiti stark.Die spanische EU-Ratspräsidentschaft plant für Montag ein Sondertreffen der europäischen Entwicklungshilfeminister zu Haiti.

Auf Bitten des Weißen Hauses wird außerdem der frühere US-Präsident George W. Bush gemeinsam mit seinem Vorgänger Bill Clinton die Hilfsbemühungen der USA koordinieren. Damit greift das Weiße Haus das Modell des US-Kriseneinsatzes nach der Tsunami-Katastrophe 2004 auf: Damals hatte Präsident Bush seinen Vorgänger Clinton sowie den früheren Präsidenten Bush senior eingesetzt.