Nachdem Berichte über das private Umfeld von Ruderin Nadja Drygalla auftauchten, reagierte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) schnell. Nach einem Gespräch mit Chef de Mission Michael Vesper zog sie freiwillig aus dem olympischen Dorf aus. Fragen bleiben dennoch.

London/Berlin. Kontakte zur rechten Szene, Abreise aus London und viele offene Fragen: Der Fall Nadja Drygalla hat die Spitze der deutschen Olympiamannschaft in helle Aufregung versetzt. Als die Ruderin aus Rostock am Freitagmorgen vorzeitig die Heimreise antrat, stellte sich Michael Vesper nach einer kurzen Nacht sichtbar angespannt den Kamerateams im deutschen Haus. Der Chef de Mission versuchte mit aller Macht zu verhindern, dass seine Mannschaft vor den Augen der Welt in einen braunen Dunstkreis gerät.

„Wenn wir nur den leisesten Hinweis hätten, dass jemand in unserem Kader fremdenfeindlich ist, wäre diese Person nicht in der Olympia-Mannschaft“, sagte Vesper und bestritt vehement, dass der Neofaschismus dem deutschen Leistungssport gefährlich nahe komme: „Die These möchte ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Es gibt nicht den geringsten Hinweis in diese Richtung, im Gegenteil.“

Zur selben Zeit lehnte Innenminister Hans-Peter Friedrich, der ausgerechnet die Ruder-Wettkämpfe am Dorney Lake verfolgte, auf SID-Anfrage jegliche Stellungnahme zu dem Thema ab. Ebenso hielt es Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Dagegen reagierte das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern, bis September 2011 Arbeitgeber der damaligen Polizeianwärterin Drygalla, mit einer Pressemitteilung. „Nachdem im Jahr 2011 dem Innenministerium bekannt wurde, dass auch Personen zum Bekanntenkreis von Nadja Drygalla gehören, die der offen agierenden rechtsextremistischen Szene zugehörig sind, wurden mit ihr intensive Personalgespräche geführt“, teilte das Ministerium mit. Die Gespräche hätten dazu geführt, „dass Nadja Drygalla einen Antrag auf Entlassung stellte, welchem mit Wirkung vom 30.09.2011 stattgegeben wurde“, hieß es weiter.

Warum Drygalla trotz dieser Hintergründe ins Olympiateam rücken konnte, ist unklar. Vesper betonte am Freitag mehrfach, er und der DOSB hätten erst am Donnerstag von der Sache erfahren. Vesper erklärte, der DOSB sei über Journalisten und einen Internetbericht auf das Thema aufmerksam geworden. Drygallas Lebensgefährte soll im Landtagswahlkampf für die rechtsextreme NPD angetreten sein. Nadja Drygalla hatte das Olympische Dorf, wie Vesper sagte, aus freien Stücken verlassen, „um keine Belastung für die Olympiamannschaft entstehen zu lassen“. Der DOSB begrüße diesen Schritt.

Vesper nahm Drygalla ausdrücklich in Schutz, er glaubt nicht, dass bei der Ruderin ein aktueller rechtsextremer Hintergrund besteht. Er habe keine Zweifel, dass die 23-Jährige „auf dem Boden des Grundgesetzes und der olympischen Werte steht“, sagte der Chef de Mission. Die Rostockerin habe sich von der rechtsextremen Szene distanziert.

Die Verbindung zu einem anscheinend rechtsextremen Partner machte Vesper Drygalla nicht zum Vorwurf. „In Deutschland gibt es Gott sei Dank den Grundsatz, dass jeder für seine eigenen Taten verantwortlich ist und nicht für die seines Umfeldes“, sagte er. Man würde jedem Menschen Unrecht tun, wenn man ihn über „einen anderen Menschen aus seinem persönlichen Umfeld definieren würde“. Vesper räumte aber ein, dass „die Geschichte nicht unproblematisch ist“. Einzelheiten des Gespräches mit Drygalla wollte er nicht nennen.

Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruderverbandes (DRV), sagte im Gespräch mit dem SID, er wolle Drygalla nicht vorverurteilen. „Wir werden mit ihr in Ruhe sprechen, wenn wir wieder zu Hause sind. Wenn sich bestätigt, dass sie nichts damit zu tun hat, warum soll sie nicht weitermachen? Sie ist von sich aus abgereist, sie wollte die Mannschaft nicht stören. Es gab für uns nie Anzeichen, dass an den Vorwürfen etwas dran sein könnte.“

Vesper hob hervor, dass es „nicht darum gehen könne“, als DOSB auch noch das Umfeld der Sportler zu untersuchen. Beiden Funktionären war da schon klar gewesen, dass kritisch beäugt werden würde, warum weder DOSB noch DRV von Drygallas Situation wussten, als diese am Dienstag das olympische Rennen mit dem deutschen Achter bestritt.

Der Radiosender NDR 1 berichtete, bereits im Frühjahr 2011 seien Meldungen über Drygallas Verhältnis zu dem mutmaßlichen Neonazi aufgetaucht. Kurz darauf schied Drygalla „auf eigenen Wunsch“ aus dem Polizeidienst aus, wie Sprecher Michael Teich vom Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern im SID-Gespräch betonte. Drygalla war Polizeianwärterin und gehörte der Polizei-Sportfördergruppe an. Gründe für ihren Austritt habe sie nicht angegeben. „Das ist auch nicht notwendig“, sagte Teich.

Über angebliche Kontakte der Sportlerin zur rechten Szene wollte das Ministerium am Freitagmorgen noch keine Angaben machen. Man wolle sich deswegen zuerst noch mit dem Verfassungsschutz in Verbindung setzen, sagte Teich. Bis zum Mittag, als die Behörde die Pressemitteilung versendete, war dies offenbar geschehen.

Drygalla hatte mit dem deutschen Frauen-Achter den letzten Platz im Vorlauf auf dem Dorney Lake belegt. Ein weiterer Start der 23-Jährigen war nicht vorgesehen.