Zwei Olympiasiege in drei Stunden: Die deutschen Vielseitigkeitsreiter gewannen die Teamwertung und mit Michael Jung auch im Einzel.

Greenwich. Nur noch wenige Meter bis zum letzten Sprung. Michael Jung hält die Zügel fest im Griff, sein elfjähriger Wallach Sam galoppiert flüssig auf das finale Hindernis zu. Noch einmal volle Konzentration. 22 000 Zuschauer halten im Reitstadion in Greenwich den Atem an, darunter auch Prinz William und Herzogin Kate. Und Weltmeister Jung spielt seine ganze Stärke aus. Der gebürtige Hesse, der im schwäbischen Horb lebt, bleibt zum zweiten Mal fehlerfrei und hat nach dem Mannschaftssieg für die deutsche Equipe im Vielseitigkeitsreiten auch im Einzel die Goldmedaille gewonnen - der erste Olympiasieg der deutschen Mannschaft bei den Spielen in London, und das gleich im Doppelpack.

"Ich wusste ja, dass ich gut sein muss, aber mehr auch nicht", sagte Jung. Die Teamkollegen rissen ihn auf dem Vorplatz fast aus dem Sattel, um ihn zu herzen. Sandra Auffarth mit Opgun Louvo komplettierte den großen Tag für die deutschen Reiter mit Bronze im Einzelwettbewerb.

Der Gesamtsieg des deutschen Teams stand schon vor dem letzten Reiter fest - Ingrid Klimke hätte sich mit Abraxxas sogar mehrere Fehler erlauben dürfen. Am Ende lag die Mannschaft mit insgesamt 133,70 Strafpunkten vor den britischen Gastgebern (138,20) und den Neuseeländern (144,40). Vor Klimke und Jung hatten Sandra Auffarth, Dirk Schrade mit King Artus und Peter Thomsen mit Barny den Grundstein für die Goldmedaille gelegt.

+++Zwei Olympiasiege: Jung feiert goldenen Geburtstag+++

+++Politiker und Familienangehörige jubeln in der Heimat+++

"Es ist überragend, hier vor englischer Kulisse in der Vielseitigkeit zu siegen, das ist ein wunderbares Gefühl", jubilierte Jung, der sich seinen 30. Geburtstag zweimal vergoldete. Dem Hessen mit dem schütteren Haar gelang es als erstem Reiter, Weltmeister, Europameister und Olympiasieger zu werden.

Die deutsche Mannschaft wiederholte damit den Sieg von 2008 in Hongkong, Michael Jung trat die Nachfolge von Hinrich Romeike aus Nübbel an. "Im Mutterland unseres Sports zu gewinnen ist wunderbar. Ich bin unendlich stolz auf mein Team, alle Reiter sind hier hervorragend geritten", freute sich Bundestrainer Hans Melzer, den beim Auftritt von Michael Jung "doch eine größere Anspannung" geplagt habe. Und das war noch maßlos untertrieben: "Die Pumpe ging ganz schön doll."

Für Aufregung sorgte Ingrid Klimke nach ihrem Teamritt. Zwar hatte sich die 44-Jährige aus Münster für das Einzelfinale der 25 besten Reiter qualifiziert, doch sie wollte zugunsten ihres Teamkollegen Dirk Schrade verzichten. "Weil ich mit Abraxxas wohl nicht fehlerfrei bleiben würde", hatte sie gemutmaßt. "Und Dirk hat da mehr Chancen." Eine sehr sportliche Idee der Tochter des sechsmaligen Dressur-Olympiasiegers Reiner Klimke, die ihrem "Braxxi" endlich die "grüne Wiese zu Hause" gönnen wollte. Leider sahen die Funktionäre im Greenwich Park das anders. Nach einem genauen Blick ins Reglement war klar: Schrade durfte gar nicht für Klimke nachrücken. So also ritten mit Jung und Auffarth nur zwei Deutsche um die Einzelmedaillen - und beide gewannen eine. Trotz ihres Rückziehers stand Ingrid Klimke die Freude ins Gesicht geschrieben. "Das ist einfach traumhaft, vor dieser Kulisse zu reiten und Gold zu gewinnen", sagte sie.

Schon in den Tagen zuvor hatten die deutschen Buschreiter im Garten von Königin Elizabeth II. geglänzt. Allen voran Klimke, die mit dem besten Ergebnis in das abschließende Springreiten gegangen war, sich dann aber zwei Abwürfe leistete. Klimke wurde in London von ihrem Ehemann Andreas und der neunjährigen Tochter Greta unterstützt. "Das bedeutet mir so viel und ist nur möglich geworden, weil Madeleine Winter-Schulze auf ihre Akkreditierung für London verzichtet hatte", sagte die Reiterin über die Besitzerin ihres Pferdes Abraxxas. Nach dem Goldritt wurde die zweifache Mutter von ihren Gefühlen übermannt. "Das ist so sensationell, jetzt widme ich meine Medaille Madeleine Winter-Schulze."

Als Selbstläufer wollte Michael Jung den Triumph nicht verstanden wissen. "Es kann ja immer mal ein Hufeisen im Parcours abfallen oder sonst etwas passieren", sagte er und räumte ein, dass selbst sein Pferd bemerkt hätte, dass Olympische Spiele etwas Besonderes sind. "Die Pferde werden hier von morgens bis abends betüddelt, dadurch war Sam beim Reiten völlig losgelassen und entspannt." Das wurde gleich mit zweimal Gold belohnt.

Bundestrainer Melzer, der seine fünf Reiter perfekt eingestellt hatte, versprach nach dem Doppeltriumph: "Wir feiern jedenfalls nicht im olympischen Dorf, denn da gibt es nur Fanta und Wasser." Also ging es in den Pub Greenwich Tavern, der längst zur Stammkneipe der deutschen Reiter geworden ist. Dort, bei Ale und Lager, glänzten die Medaillen besonders schön.