Beim starken 1:1 gegen Bayern München bewiesen die HSV-Profis mit Leidenschaft, dass sie auch gegen Topteams mithalten können.

Hamburg. Es muss so ungefähr anderthalb Stunden nach dem Schlusspfiff gewesen sein, als am späten Sonnabend auf der S-Bahn-Fahrt nach Hause bei einigen HSV-Anhängern die Grenze zwischen Traum und Realität verwischte. Der "tollste Sieg der Saison" wäre das gerade gewesen, sagte ein nicht nur freudetrunkener Fan seinem Kollegen, der zwischen den Haltestellen Stellingen und Langenfelde viermal das Attribut "weltklasse" bemühte. Dass ihre Helden in kurzen Hosen an diesem klirrendkalten Winterabend lediglich ein 1:1 gegen den FC Bayern erkämpft hatten, schien nicht nur diese beiden berauschten HSV-Anhänger wenig zu stören. Ihr Fazit war ab der Haltestelle Holstenstraße etwas lallend, aber doch lautstark zu vernehmen: "Deutscher Meister, nur der HSV!"

Nun mag es ein Hamburg-spezifisches Phänomen sein, dass Unentschieden gegen mutmaßlich übermächtige Gegner wie ein Sieg bejubelt werden. So gilt das 4:4-Remis gegen Juventus Turin vor zwölf Jahren immer noch als größter Vereinserfolg im vergangenen Vierteljahrhundert. Das 1:1 gegen Bayern München durfte aber tatsächlich mit gutem Gewissen wie ein gefühlter Sieg gefeiert werden, nachdem Thorsten Finks Mannschaft den ideenlosen Münchnern nicht nur in den Kategorien Kampf und Leidenschaft haushoch überlegen war, sondern auch eine taktische Leistung der gehobenen Klasse abliefert hatte. "Wenn ein Klassetrainer wie Jupp Heynckes uns eine kompakte und intelligente Verteidigungsstrategie bescheinigt, dann will ich ihm lieber mal nicht widersprechen", sagte der bestens gelaunte Fink, der den "leidenschaftlichsten Auftritt" seiner HSV-Amtszeit gesehen haben will.

+++ Senkrechtstarter Sala: "Das ist unglaublich" +++

Zuschauer, die häufiger den Weg in den Volkspark finden, wollten zunächst gar nicht glauben, dass am Sonnabend im Großen und Ganzen die gleiche Mannschaft auf dem Platz stand, die zum einen zwei Wochen zuvor beim 1:5 gegen Dortmund untergegangen und zum anderen in der Hinrunde beim 0:5 in München regelrecht auseinandergenommen worden war. "Seit dem Aufeinandertreffen in der Hinrunde ist bei uns sehr viel passiert", sagte Klubchef Carl Jarchow nach der Partie, "die Mannschaft hat sich entwickelt, sie tritt völlig anders auf, die Neuen sind auch viel besser integriert." Was Jarchow nicht sagte, aber meinte, ist, dass diese Mannschaft endlich auch ein taktisches Rüstzeug bekommen hat, mit dem sie an guten Tagen sogar einer Mannschaft wie dem FCB Paroli bieten kann.

+++ Bälle halten, Klappe halten +++

Anders als noch vor zwei Wochen, als die vorgeführten HSV-Protagonisten davon sprachen, im Spiel gegen Borussia Dortmund Angst gehabt zu haben, beeindruckten die Hamburger diesmal mit einem äußerst couragierten Auftritt. Als überzeugender Indikator hierfür darf die Statistik der Zweikampfduelle herhalten, die der HSV mit 51 zu 49 Prozent für sich entscheiden konnte. "Wir haben aus der Niederlage gegen Dortmund gelernt", kommentierte Kapitän Heiko Westermann, der sich nach den unterhaltsamen 90 Minuten als bester Zweikämpfer (78 Prozent) auf dem Platz feiern lassen durfte.

Der HSV, der Bayerns Stars mit zwei laufstarken Viererabwehrketten mit zunehmender Spieldauer immer mehr zur Verzweiflung trieb, überzeugte aber nicht nur in der Defensive. "Unsere wichtigste Erkenntnis ist, dass wir gegen so starke Mannschaften bestehen können", sagte Dennis Aogo, der explizit auch die Bemühungen im Spiel nach vorn lobte. So war Jacopo Salas Führungstreffer nach 23 Minuten kein Zufallsprodukt, sondern die logische Folge von Hamburgs konsequenter Nadelstichtaktik, die bereits Borussia Mönchengladbach am ersten Spieltag der Rückrunde gegen die Münchner zum Erfolg verhalf. "Wir sind diesmal sehr diszipliniert aufgetreten, was an diesem Abend der Schlüssel zum Erfolg war", bilanzierte Sportchef Frank Arnesen.

+++ Bayerns Luxusprobleme +++

Einziger Wermutstropfen aus Hamburger Sicht war sicherlich der unnötige Ausgleichstreffer 20 Minuten vor Schluss, als es der Sekunden zuvor für Mladen Petric eingewechselte Heung-Min Son verpasste, den Ball nach einer Ecke konsequent zu klären. "Na, habe ich dich doch zu früh ausgewechselt", soll Fink unmittelbar nach dem Gegentor Petric auf der Auswechselbank zugerufen haben. Entscheidend wird aber sein, dass Finks Mannschaft auch aus diesem Rückschlag lernen wird. "Natürlich hat mich das Gegentor geärgert", gibt Fink zwar zu, eine im Konjunktiv geführte Diskussion, was passiert wäre, wenn er Petric statt vor erst nach der Ecke getauscht hätte, wollte er aber lieber nicht führen.

Gespannt darf man nun sein, ob die noch immer wechselhaft auftretenden Hamburger ihren Aufwärtstrend am kommenden Wochenende auch in Köln bestätigen. Ein Remis in der Domstadt, so viel ist sicher, würde wohl kein noch so berauschter HSV-Fan als Sieg feiern.