Der Abwehrspieler spricht über seinen Abgang aus Hamburg, den FC Bayern und das Gefühl, erstmals als Gegner in der Imtech-Arena auflaufen zu müssen.

Hamburg. Beim HSV wurde er zum Stammspieler in der Bundesliga, später sogar A-Nationalspieler - dennoch zog es Jerome Boateng , 23, im Sommer 2010 nach drei Jahren aus Hamburg zu Manchester City. Seit dieser Saison spielt der Verteidiger für den FC Bayern München - und gastiert am Sonnabend zum ersten Mal wieder als Gegner in der Imtech-Arena. Im Abendblatt spricht Boateng über seine alte Verbundenheit und die Trauer, nicht länger beim HSV geblieben zu sein.

Abendblatt: Herr Boateng, in Hamburg herrscht klirrende Kälte vor dem Nord-Süd-Schlager.

Jerome Boateng: Ich glaube aber trotzdem, dass es ein warmer Empfang für mich wird. Die Hamburger Fans haben mich in den Jahren beim HSV immer großartig unterstützt und mir auch einen tollen Abschied bereitet. Es tat schon weh, damals gehen zu müssen.

Gehen zu müssen? Sie haben sich doch selbst dazu entschlossen, zu Manchester City zu wechseln.

Boateng: Das stimmt. Aber grundsätzlich wollte ich bleiben und hatte das auch so kommuniziert. Leider wurden damals einige Zeitpunkte für Vertragsverlängerungen versäumt, die alles beim HSV leichter gemacht hätten.

Sie sagten bei Ihrem Abschied, dass sich der HSV der großen Chance beraubt hätte, mit vielen Leistungsträgern zu verlängern, die dazu bereit gewesen wären.

Boateng: Ich war ja nicht der Einzige, der gegangen ist. Damals ging vorher schon ein Vincent Kompany. Und auch ein Ivica Olic, der eine starke Serie hingelegt hatte und enorm wichtig für uns war. Ivica wollte bleiben, aber dazu kam es aus verschiedenen Gründen nicht. Und wer sich die Namen der vergangenen Jahre und deren heutige Positionen in ihren neuen Klubs ansieht, der kann erahnen, dass für den HSV zuletzt wesentlich mehr drin gewesen wäre.

Waren Sie enttäuscht?

Boateng: Nein, das nicht. Es ist Profifußball und somit auch Teil des Geschäfts. Auch für mich. Solche Erfahrungen lassen mich doch reifen. Und egal, was ich damals gedacht und gesagt habe, heute ist alles so gekommen, wie ich es mir damals nicht besser hätte wünschen können.

Weil Sie sich nach dem HSV bei internationalen Größen wie Manchester City und jetzt dem FC Bayern München sicher nicht verschlechtert haben.

Boateng: Verschlechtert oder nicht - das will ich gar nicht beurteilen. Alle drei Vereine sind renommierte Klubs. Aber ich kann zumindest sagen, dass ich im Nachhinein nichts bereue. Der HSV ist schon ein extrem professioneller Klub - wie der FC Bayern, nur ist dort alles noch einen Tick größer. Ich spiele beim Nonplusultra Deutschlands und bin dem Klub sehr dankbar, dass sie mich geholt haben, obwohl ich gerade am Knie operiert worden war. Das war ein Vertrauensvorschuss, den ich sehr gern zurückzahlen möchte.

Dem FC Bayern wird ein besonders familiärer interner Umgang nachsagt.

Boateng: Und das ist tatsächlich so. Das ist hier schon einmalig. Hier sitzt ein Uli Hoeneß in der einfachen Kantine an einem Tisch und unterhält sich mit allen. Da ist keine Distanz vom Chef zum Arbeitnehmer zu erkennen. Hier wird das Gefühl vermittelt, dass nicht alle für einen Chef arbeiten, sondern der Chef ein Teil des Ganzen ist. Das gepaart mit der extremen Professionalität, die ein Bayern-Profi mitbringen muss, ist für mich die perfekte Mischung.

Zuzüglich eines Stammplatzes, den Sie jetzt nach der Verletzung von Daniel van Buyten in der Innenverteidigung haben. Zudem zieht Ihr Halbbruder Kevin-Prince im Moment beim AC Mailand groß auf und wohnt nicht weit entfernt.

Boateng: Das stimmt. In München habe ich im Gegensatz zu Manchester, wo es immer wieder ziemlich einsam war, meine Familie in der Nähe. Zudem läuft es sportlich bei mir und Kevin, was uns alle sehr stolz macht. Ich habe hier bis auf ein, zwei Partien zu Saisonbeginn fast alle Spiele mitgemacht. Es läuft alles. Jetzt eben als Innenverteidiger. Wobei alle wissen, dass das sogar meine absolute Lieblingsposition ist.

Aber für Ihre EM-Bewerbung sicher nicht optimal, denn in der Nationalelf sieht Sie Bundestrainer Joachim Löw eher als Rechtsverteidiger.

Boateng: Das stimmt. Aber in der direkten Vorbereitung auf die Europameisterschaft habe ich noch genug Zeit, mich beim Bundestrainer für einen Stammplatz zu empfehlen. Ich spiele ja beides gern. Da mache ich mir keine Sorgen. Ich mache daraus einen persönlichen Vorteil und spiele jetzt meine Lieblingsposition und freue mich danach auf erhöhten Konkurrenzkampf. Zumal ich weiß, dass ich den brauche. Darauf freue ich mich. Wie auf mein erstes Bundesligaspiel beim HSV.

Weil es ein leichter Gang für den FC Bayern in Hamburg wird?

Boateng: Nein, im Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass der HSV gegen uns ganz anders auftritt als beim 1:5 gegen Dortmund. Für uns wird es wesentlich schwerer, ein hartes Spiel. Der HSV hat gelernt. Sie haben versucht, gegen Dortmund mitzuspielen - aber der BVB hatte einen extrem guten Tag. Deshalb ging es schief. Aber so etwas passiert dem HSV nicht zweimal. Gegen uns werden sie vorsichtiger spielen.

Sie treffen auf zwei alte Freunde, Mladen Petric und Paolo Guerrero. Ist es ein Vorteil, dass Sie beide so gut kennen?

Boateng: Nein, sie kennen mich ja andersrum genauso. Mladen ist ein Schlitzohr, sehr kopfballstark. Und mein Freund Paolo ist ein super Techniker, der seinen Körper stark einsetzt. Das sind beides Topstürmer, das werden harte Duelle. Nicht nur für mich.

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Sehen Sie den HSV im Aufschwung?

Boateng: Ganz klar. Die Mannschaft hat sich eingespielt und hat jetzt einen Trainer, der super ist. Mit Thorsten Fink ist in Hamburg einiges möglich.

Oha, Sie scheinen sehr überzeugt. Woher kennen Sie den HSV-Trainer?

Boateng: Nur von dem, was ich aus der Ferne sehe und was mir die Leute berichten. Aber das alles klingt sehr vielversprechend, alle sind begeistert.

War das nicht immer so?

Boateng: Was soll ich dazu sagen? Das müssen andere beurteilen. Ich bin dem HSV sehr dankbar für drei tolle Jahre. Ich freue mich auf das Wiedersehen mit Freunden wie beispielsweise Dennis Aogo, Marcell Jansen, Paolo und Tomas Rincon - auch wenn ich versprechen kann, dass das auf dem Platz sicher anders aussehen wird.