Das Pech eines anderen brachte den Hamburger Sportler in den Achter. Johannesen hat sich immer weiterentwickelt. Heute kann er Gold holen.

London. An seine erste Begegnung mit Eric Johannesen kann sich Gunnar Krause noch gut erinnern. Irgendjemand im Ruder-Club Bergedorf hatte ihm von dem jungen Mann erzählt, der seit einem Jahr in den Breitensportgruppen des Vereins mitmischte, und empfohlen, ihn sich einmal genauer anzuschauen. Und nun stand dieser damals 15-Jährige vor ihm, außergewöhnlich groß, außergewöhnlich stark, außergewöhnlich ehrgeizig, ja, geradezu verbissen. "Er konnte noch gar nicht richtig rudern", erzählt Krause, der damals die besten Athleten des Klubs trainierte, "aber man merkte gleich, dass er schnell war." Wenige Wochen später feierte Johannesen bei den norddeutschen Meisterschaften seinen ersten Sieg in einer Regatta.

Heute wird Krause, 44, gegen 11.30 Uhr (ZDF) eine Pause von seiner Arbeit einlegen und den Fernseher einschalten, den er sich ins Büro mitgenommen hat. Zur gleichen Zeit werden sich im Hotel Bergedorfer Höhe die Klubmitglieder bei Grillwurst und Kaltgetränken in einem Zelt versammeln und gebannt auf den Bildschirm blicken. Auf dem Programm steht das Achterfinale der Olympischen Spiele, und wenn es so läuft, wie alle glauben, dann bekommt Johannesen, 24, hinterher eine Goldmedaille umgehängt. Es wäre das erste Mal, dass ein Ruderer eines Hamburger Vereins in der bedeutendsten Bootsklasse triumphiert. Und es wäre das Resultat eines glücklichen Zufalls.

+++Der Liveticker: Deutscher Medaillenregen soll weitergehen+++

+++Seibt/Wichert gescheitert+++

Noch vor zwei Jahren war der Deutschland-Achter für Johannesen so weit weg wie, sagen wir, die Motorrad-WM für einen Formel-1-Fahrer. Der Hamburger hat auch damals schon von einer Teilnahme an den Olympischen Spielen geträumt, und wahrscheinlich war dieser Traum gar nicht einmal verwegen. Johannesen hatte bei den Weltmeisterschaften der unter 23-Jährigen den zweiten Platz im Doppelzweier erreicht, einer Bootsklasse, bei der jeder Ruderer zwei Skulls durchs Wasser zieht. Er durfte sich dank des Erfolgs erstmals mit der Nationalmannschaft auf die A-WM vorbereiten. Im Notfall hätte er als Ersatzmann für ein Skullboot nachnominiert werden können. Dieser Notfall trat nicht ein. Nur der Rostocker Felix Drahotta, der für das Riemenboot Zweier ohne Steuermann vorgesehen war, musste krank abreisen.

Marcus Schwarzrock aber sah die Gelegenheit gekommen, auf die er schon länger spekuliert hatte. Der Hamburger Skull-Bundestrainer hatte Johannesen 2006 in seine Gruppe aufgenommen. "Eric ruderte damals noch in Riemenbooten, weil er nicht gut genug zum Skullen war, und wollte unbedingt umsteigen." Nun, da durch Drahottas Ausfall ein Platz im Zweier ohne Steuermann frei geworden war, besann sich Schwarzrock der Vielseitigkeit seines Schützlings: "Die technische Grundlage war ja gelegt." Mit einigem guten Zureden habe er schließlich die Mannschaftsleitung überzeugen können, den Skuller Johannesen als Partner von Andreas Kuffner für das Riemenboot zu nominieren.

Nach nur zweieinhalb Wochen gemeinsamen Trainings fuhren die beiden bei der WM im November 2010 in Neuseeland als Fünfte durchs Ziel. "Wir haben fast auf Anhieb harmoniert", erinnert sich Johannesen. Inzwischen bilden der Hamburger und der Berliner das stärkste Ruderduo Deutschlands. Bei den Kleinboottests der Nationalmannschaft im Frühjahr belegten sie einmal den zweiten, einmal den ersten Rang. Im Deutschland-Achter wurden sie von Bundestrainer Ralf Holtmeyer auf die Positionen drei und vier gesetzt. Sie gehören damit zum Kraftzentrum, in dem der größte Teil der 4500 Watt Gesamtleistung erzeugt wird, die das Großboot mit jedem der 220 Schläge vorwärtsschieben.

Schwarzrock, 45, muss schmunzeln, wenn er an die seltsame Fügung des Schicksals zurückdenkt. Ein wenig schade sei es schon, Johannesen nicht mehr in seinem Skullteam zu haben: "Eric ist ein Pfundskerl, sehr ehrgeizig, immer leistungsbereit." Und auch wenn der Sportsoldat körperlich und technisch sogar die Voraussetzungen habe, ein guter Einerfahrer zu werden, sei er dafür doch viel zu sehr Teamplayer. Was die Popularität betrifft, kann es der Achter allemal mit dem Skiff aufnehmen. Die fünf deutschen Olympiasiege sind legendär. Beim bislang letzten 1988 war Johannesen 71 Tage alt.

Schwarzrock ist sich sicher, dass der 97-Kilo-Mann nicht der letzte Hamburger im Deutschland-Achter bleiben wird. Vor vier Jahren wurden die Bundesstützpunkte Hamburg und Ratzeburg zusammengelegt, seither trainierten die Besten regelmäßig miteinander. "Davon hat auch Eric profitiert." Es könnte demnach künftig häufiger vorkommen, dass ein Athlet die Bootsgattung wechselt. Auch Lars Wichert vom RC Allemannia, bei Olympia im Leichtgewichtsvierer vertreten (siehe Infokasten), hat bereits als Skuller WM-Medaillen gewonnen.

Gunnar Krause ist von der Vielseitigkeit seines einstigen Schützlings weniger überrascht: "Gute Skuller können oft auch gut riemen." Umgekehrt sei das nicht immer so. Für das heutige Rennen hat er ein gutes Gefühl: "Eigentlich bin ich sicher, dass die das schaffen." Aber beim Rudern wisse man eben nie.