Einen Tag nach der Räumung des Gebäudes in der Frommestraße 2 sitzen rund 30 junge Leute unter der internationalen Flagge für Hausbesetzungen.

Lüneburg. Einen Tag nach der Räumung des Hauses Frommestraße 2 durch Polizeibeamte und dem Beginn der Abrissarbeiten hat sich die Szenerie von dem Grundstück auf den gegenüber liegenden Scunthorpe-Park verlagert. Junge Leute verfolgen, wie Arbeiter und Bagger ihre zwischenzeitliche Bleibe abbrechen, andere stoppen auf ihrem Weg in die Stadt und sehen eine Weile zu. In ihrer Meinung über das Geschehen könnten die Passanten gespaltener nicht sein, die Stimmung reicht von "endlich" bis "Skandal". Zu Haus 4 kündigt die Stadtverwaltung eine Anwohnerversammlung an.

Die internationale Flagge für Hausbesetzungen, ein Pfeil in Form eines N in einem Kreis, hängt mittlerweile nicht mehr am Schornstein, sondern an einem Baum. Darunter saßen gestern und vorgestern rund 30 junge Leute, die das bis Dienstagmorgen auf dem Grundstück gegenüber getan hatten. "Schade, dass es keinen Platz mehr für nicht genormte Plätze gibt", bilanziert Jens Markgraf traurig die Baggerarbeiten. Drei Wochen hatte er gemeinsam mit anderen in dem Haus gelebt.

Bewusst ist ihm nach Räumung und Abrissbeginn geworden, dass auch die Besetzer-Gruppe Fehler gemacht hat. "Wir sind gescheitert, der Öffentlichkeit und dem Eigentümer Sallier klar zu machen, dass wir nichts in Besitz nehmen, sondern etwas instand setzen wollen, solange es nicht genutzt wird." Mit den Partys vor Pfingsten sowie am Pfingstsonntag im Park habe man die Situation "überreizt", gibt er zu, "wir haben danach selbst gesagt, wir müssen etwas ändern".

Jim (25), der am Sonnabend noch öffentlich von den Plänen für ein Jugend-Kulturzentrum in der Frommestraße 2 gesprochen hatte, sieht in der Räumung zwar eine "Niederlage", sagt aber: "Es geht weiter, auch ohne Haus."

Dass das Haus wegkommt, ist für Anwohnerin Helga Sachse (65) derweil "höchste Zeit". Sie sagt: "Das ist ein Schandfleck, Sallier hätte das Gebäude gleich nach Kauf abreißen sollen, dann wäre das alles gar nicht passiert." Altstadt-Bewohner Harald Günther (60) hätte nichts gegen ein Jugendzentrum gehabt, "wenn die Sicherheit gegeben und der Eigentümer einverstanden" gewesen wären. Die jungen Leute seien immer friedlich gewesen. Seiner Einschätzung nach machen dort wegen der Senkungen nicht einmal Parkplätze Sinn: "Auch die würden absacken." Auch Rentner Klaas Voget findet den Abriss "richtig, denn die jungen Leute haben einen Rechtsverstoß begangen".

Dorothea Terborg dagegen nennt den Abbruch einen "Skandal, absolut unmöglich, unglaublich". Dass es keine Alternative dazu gegeben hätte, "möchte ich in Frage stellen", sagt die 54-Jährige. "Diese Gefühllosigkeit ist ein Signal der SPD-Politik, bei dem sich das Gefieder sträubt." Maren Kemmer (55) bedauert den "Wegfall des letzten Stückchens alternativer Kultur in Lüneburg". Es gebe keine Räume für Künstler, die öffentlich zu nutzen seien, "selbst kleine Vereine müssen zahlen".

Matthias Kellermann von der Bürgerinitiative Fromme-/Bastionstraße nennt den Dienstag eine "Kriegserklärung an die Jugendlichen im Viertel". Jetzt seien Stadtverwaltung und politische Gremien gefragt: "Wir wollten hier Ersatz für das Jugendzentrum in der Katzenstraße schaffen. Nun fordern wir Angebote über alternative Räume für unser Projekt, das auch Professor Kurt Bader unterstützt. Die Stadt könnte beispielsweise ihr Grundstück zurücknehmen, das sie Sallier verkauft hat."

Die Unterstützung in der Nachbarschaft für ein derartiges Zentrum sei groß, sagt Kellermann. Gleichzeitig fordert er, zum Haus Nummer 4 "endlich mit der Wahrheit herauszurücken".

Wie berichtet, sind die Sicherungsmaßnahmen aus dem Jahr 2004 in dem Gebäude auf zwei Zentimeter Senkung pro Jahr ausgelegt, zurzeit sackt der Boden aber um zehn Zentimeter ab. Ein von der Stadtverwaltung beauftragter Statiker prüft daher die Standsicherheit des Hauses und wird in Kürze entscheiden, welche Bauteile für weitere Untersuchungen freizulegen sind. Dafür kann es nötig werden, dass Mieter ausziehen.

Die Stadtverwaltung hofft laut Sprecherin Suzanne Moenck für Ende Juli auf ausgewertete Ergebnisse. "Sobald die vorliegen, bieten wir eine Anwohnerversammlung an." Auch über den Bauantrag für die Bastionstraße 1-2 sei längst nicht entschieden, betont sie.

Die während der Abrissarbeiten aufgestellten Schwingungsmesssensoren zeigten laut Suzanne Moenck bis gestern Nachmittag insgesamt drei Alarme an, "zwei davon, als keine Arbeiten stattfanden". Vier Geräte habe der Prüfstatiker in Haus 4 aufgestellt, ein fünftes habe er nicht wie geplant anbringen können, weil ihm der Zutritt zu der Wohnung verweigert worden sei.

Bisher hat es laut Suzanne Moenck keine tatsächlich alarmierende Situation gegeben. "Die Bauaufsicht ist regelmäßig draußen, der Eindruck der Fachleute ist, dass die Arbeiter sensibel vorgehen und das Konzept des erschütterungsfreien Abbruchs aufgeht."

Dass auf einem Sensor im Hausflur der Nummer 4 dauerhaft das Wort "Alarm" leuchtet, erklärt Bauleiter Axel Möller gegenüber der Rundschau so: "Die Fehlalarme sind durch vorbeigehende Menschen ausgelöst worden. Der Sensor behält diesen Status anschließend bei, das ist ganz normal. Es gibt aber keinen Grund zur Sorge. Ich habe noch nie einen so vorsichtigen Abbruch gesehen."

Zu der Befürchtung von Nachbarn, es befände sich Asbest-Beton im Schutt und in die Gärten, sagte Moenck gestern auf Nachfrage: "Wir haben das staatliche Gewerbeaufsichtsamt eingeschaltet, bei dessen Prüfung wurde kein Asbest gefunden."