Standpunkt

Befaßt man sich mit Hamburgs Kulturgeschichte, kann man Erstaunliches feststellen: daß nicht nur Johannes Brahms in Hamburg geboren wurde, sondern auch Felix Mendelssohn Bartholdy und Paul Dessau. Nicht zu vergessen Gottfried Semper. Daß in Hamburg nicht nur Philipp Otto Runge und Matthias Claudius gewirkt haben, sondern auch Lessing oder Händel. Daß das erste bürgerliche Opernhaus Deutschlands in Hamburg gegründet und das spätere Stadttheater von Carl Friedrich Schinkel entworfen wurde.

Andere Städte würden mit diesen Fakten sicher ganz anders umgehen als die Hamburger. Aber ist es wirklich nur dieses hanseatische Understatement, fehlt es in unserer Zeit nicht überhaupt an Verständnis und Interesse für alles, was in der Vergangenheit liegt? Tradition ist "out", könnte man denken: Kunstausstellungen mit "Alten Meistern" sind viel eher Kritik ausgesetzt als solche der sogenannten Avantgarde. Ich möchte keine Mozartkugelseligkeit oder keine August-der-Starke-"Herrlichkeit" beschwören. Aber das Bewußtsein für die Leistungen früherer Generationen kann für die Lösung aktueller Aufgaben hilfreich sein. Ein Beispiel dafür ist das im Aufbau befindliche Auswanderer-Museum. Es thematisiert ein vermeintlich vergangenes Kapitel der gesamteuropäischen Geschichte, in der Hamburg eine wichtige Rolle gespielt hat.

Hamburg bietet sich damit eine Chance, sich auf seine Geschichte und seine Traditionen zu besinnen. Denn daran ist unsere Stadt reich: beispielsweise die durch Handel und Kulturaustausch internationale Szene und die damit verbundene Weltoffenheit. Oder das beeindruckende Mäzenatentum: Hamburg hat die meisten Stiftungen in ganz Deutschland! Die älteste, das Hospital zum heiligen Geist, wurde 1227 gegründet. Die Deichtorhallen, der Erweiterungsbau im Museum für Kunst und Gewerbe oder die Universitätsflügelbauten sind Ausdruck dieses hanseatischen Mäzenatentums, um das uns manche Stadt beneidet. Es hat nicht nur Tradition, sondern auch Zukunft!

Bei wichtigen Projekten der nahen Zukunft wird es eine entscheidende Rolle spielen: so bei der Errichtung des Internationalen Schiffahrts- und Meeresmuseums Peter Tamm, der Elbphilharmonie und bei Erweiterungs- und Verbesserungsmaßnahmen in unseren großen städtischen Museen. Tradition ist also gar nicht "out", jedenfalls nicht, wenn man sie umfassend begreift und aus der Vergangenheit Kraft und Inspiration für die Zukunft schöpft. In diesem Sinne grüßt Sie herzlich