Brasilien: Eine große Schau im Museum für Völkerkunde würdigt die Kunstbewegung des “modernismo“, dessen Ursprung im São Paulo der 1920er Jahre begründet liegt.

"Diese Bilder transportieren das brasilianische Nationalgefühl", sagt Wulf Köpke, Direktor des Museums für Völkerkunde. Eine identitätsstiftende Kraft, die für die Deutschen von Werken eines Caspar David Friedrich oder Emil Nolde ausging. Die euphorische Rede ist von der Schau "Befreit und selbstbewußt - Brasiliens ,modernismo' im frühen 20. Jahrhundert". Eine Kunstströmung, die sich von der Malerei auf Literatur sowie Architektur ausdehnte und auch das Neue Cinema und den Bossa Nova der 60er Jahre prägte.

Für Tiago de Oliveira Pinto, der die Ausstellung neben Köpke kuratiert, liegt der Kern des brasilianischen "modernismo" im Jahre 1922 begründet. Mit der 100jährigen Unabhängigkeit von Portugal habe die intellektuelle Schicht des Landes verstärkt die Frage nach den eigenen Wurzeln diskutiert, erklärt der Europa-Vertreter der brasilianischen Kulturstiftung FAAP. Eine Debatte, die ihre erste kreative wie geistige Konzentration 1922 in der "Woche der Moderne" in São Paulo erlebte.

Ideeller Auslöser der Aktion war Mario de Andrade (1893-1945), ein Multitalent. Angeregt vom Basiswerk, das der deutsche Völkerkundler Theodor Koch-Grünberg über die nordbrasilianischen Indianer erstellte, schuf er 1928 einen literarischen Nationalmythos. "Tief im Urwald wurde Macunaíma geboren, Held unseres Volksstamms. Er war pechschwarz und Sohn der Nachtangst." So beginnt die Schilderung dieser Figur, der kein eindeutiger Charakter zuzuordnen ist. "Macunaíma repräsentiert die ethnische Vielschichtigkeit Brasiliens, das Stadt-Land-Gefälle sowie die Zerrissenheit zwischen Wissenschaft und Aberglaube", sagt Pinto.

Im neugestalteten Thilenius-Saal soll eine Installation von Andrades Arbeitszimmer die Wirkung des Autors und Kulturpolitikers auf die Künstler Brasiliens plastisch erfahrbar machen. Darum herum zeugen knapp 100 Bilder, 60 Objekte sowie Möbel und Fotos von der ästhetischen Hybridität der Bewegung. Fast alle Modernisten Brasiliens verbrachten mehrere Jahre in Europa. Und so sind in der Ausstellung, die das deutsche Brasilienjahr 2006 einleitet, stilistische Züge vom Expressionismus bis zur Neuen Sachlichkeit auszumachen, die jedoch auf die eigene Gesellschaft übertragen wurden. So zeigt Antonio Gomide naiv anmutende Szenen des Landlebens in Gold- und Erdtönen. Clovis Graciano löste mit der Darstellung deformierter Indianerpuppen heftige Gegenreaktionen bei akademisch geprägten Malern aus.

8. 10. 2005-26. 2. 2006