Gedenkstätte: Als eine der ersten dokumentiert Neuengamme mit der Dauerausstellung “Die Lager-SS“ Organisation und Verbrechen der KZ-Täter sowie deren mangelnde Verfolgung nach 1945.

"Pauly hat das Lager unter so einem Terror gehalten, daß man keinen Tag seines Lebens sicher war." Die Aussagen von Überlebenden des Häftlingslagers in ihrer Heimatsprache sind von allen Standpunkten in der neuen Ausstellung "Dienststelle KZ Neuengamme: Die Lager-SS" aus zu sehen. Von zwei Beamern projiziert, flimmern die Statements pausenlos über die Stirnwand der ehemaligen SS-Garage. Ewald Gondziks Einschätzung des von Herbst 1942 bis 1945 amtierenden Lagerkommandanten Max Pauly bekräftigt ein anderes seiner Opfer, Willi Müller: "Pauly war ein Biest, aber das waren sie alle."

Warum konnten Deutsche aus allen Altersklassen und sozialen Schichten zu "Killern mit kaltem Herzen" werden? Imre Kertesz schreibt im "Galeerentagebuch": "Es gibt Fragen, auf die die Antwort zu geben unmöglich ist, doch ebenso unmöglich ist es, sie nicht zu stellen." Dieser Problematik waren sich Christl Wickert und ihre Kollegen bei der Konzeption der Ausstellung bewußt. Auf die jüngsten Forschungen über KZ-Täter gestützt, entschieden sie sich, für den "mikrohistorischen Blick" auf das heikle Thema: Am konkreten Beispiel des KZ-Personals werden die allgemeinen Strukturen des von Reichsführer Heinrich Himmler geleiteten "Schwarzen Ordens" deutlich, an Hand exemplarischer Biographien die Organisation und Funktionsweise der SS beleuchtet.

Weder Klischees über KZ-Mannschaften noch die "Faszination des Bösen" zu bedienen, ist ein Anliegen der Konzeption. Sie vermeidet durch sachliche Präsentationsstrategien Stilisierung und Überhöhung der SS: Insignien des Totenkopfsturmbanns wie Orden, Uniformen oder Waffen fehlen, sollen die Verbrecher nicht glorifizieren. Sie werden als solche gleich in der ersten Themeninsel am Saaleingang deutlich herausgestellt - Angeklagte vor dem britischen Militärtribunal 1945-48.

Nach dem Prinzip der Quellenkontrastierung - SS-Dokumente werden möglichst mit der Perspektive der Häftlinge konfrontiert - sind die weiteren vier Themenbereiche aufgebaut: Sie informieren über Leitung und Organisation der SS, den Alltag und die Gewalt am Arbeitsplatz Neuengamme, die Bewachung in den Außenlagern und schließlich über die Nachgeschichte der SS-Leute, die Nachnutzung des vom einstigen Häftlingslager abgetrennt gelegenen SS-Komplexes und die Stimmen der Nachgeborenen.

Ein "Offenes Archiv" in der früheren Waffenmeisterei gibt die Möglichkeit zu intensiverem Quellenstudium. Auch die Ausstellung bietet mit den Biographie-Ordnern eine Fülle von Material zur Reflexion über den Alltag der 4500 SS-Soldaten zwischen blindem Gehorsam, rohem Schlägertum und persönlichem Handlungspielraum. "Erklären bedeutet nicht zu entschuldigen", schreibt Christopher Browning in seinem Buch "Ganz normale Männer". Der Versuch, das Ungeheure verstehen zu wollen, hieße auch nicht, den Tätern ihre Ungeheuerlichkeiten zu vergeben.

KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Bus 227 u. 327 von der S-Bahnstation Bergedorf); mo-fr 9.30-16 Uhr; sbd, so u. an Feiertagen 12-19 Uhr (Mai bis Sept.), 12-17 Uhr (Okt. 2005 bis März 2006). Am 11. 9. ist Tag des offenen Denkmals.