Analyse: Das schwierige Erbe von Johannes Paul II. Viele Stimmen sprechen von Reformstau. Was muß der neue Papst jetzt anpacken?

Hamburg. Johannes Paul II. hat seinem Nachfolger ein schwieriges Erbe hinterlassen. Als perfekter PR-Mann hat Karol Wojtyla den Führungsanspruch, die Autorität und die prunkenden Traditionen seiner Weltkirche gestärkt und sie - mit Popstar-Qualitäten - in den Medien erfolgreich repräsentiert; gleichzeitig hat er aber auch, wie jetzt viele Stimmen inner- und außerhalb der katholischen Kirche betonen, für einen "Reformstau" gesorgt.

Das größte Problem ist: Auf jedem Kontinent werden Prioritäten anders gesetzt.

  • Deutschland: Für die Bewegung der Reformkatholiken und Laienorganisationen war Joseph Ratzinger seit Jahren eine Art rotes Tuch: Als Präfekt der apostolischen Glaubenskongregation hatte er mehr als 20 Jahre lang "Abweichler" gemaßregelt und über Dogmen gewacht. Vergeblich forderten Vertreter der "Initiative Kirche von unten" und katholische Frauengruppen, die Kirche müsse ihre Haltung zu Verhütungsmitteln, Geschiedenen, Zölibat und Frauenordination liberalisieren und wieder in die Schwangerschaftskonfliktberatung einsteigen. Wird Benedikt XVI. darauf eingehen? Bisher weist darauf nichts hin.
  • Personalprobleme: Der Priestermangel nimmt in Westeuropa dramatische Ausmaße an. Ein wesentlicher Grund ist der Zölibat. Die Welt ist seit der letzten Papstwahl freier geworden, vor allem im Umgang mit der Sexualität und sogar der sexuellen Präferenz. Das Image der katholischen Priester hat diese Entwicklung nicht unbeschadet überstanden. Wenn sich Mißbrauchsfälle (etwa in US-Diözesen) und Pornoskandale häufen, besteht die Gefahr, daß gerade solche Männer sich fürs Priestertum entscheiden, die keine heterosexuellen, sondern andere Beziehungen wollen. Reicht es, die Anwärter sorgfältiger auszuwählen, wie Benedikt XVI. andeutete?
  • Mission: Gerade in Lateinamerika, wo die Hälfte der weltweit 1,1 Milliarden Katholiken lebt, hatte man - als Signal - die Wahl eines Papstes vom eigenen Kontinent erhofft. Denn die großen religiösen Bewegungen der Welt vollziehen sich heute fernab von Europa. Mit Sorge registriert der Vatikan seit Jahren den Vormarsch fundamentaler und charismatischer Strömungen, vor allem in Lateinamerika und Südasien. Mormonen und Pfingstler, weltweit die am schnellsten wachsenden Bewegungen, haben auch dort die größten Erfolge. In Brasilien kehren jährlich 600 000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken und wenden sich evangelikalen Gruppen zu. Daß die katholische Kirche nicht nur in Dritte-Welt-, sondern auch in Schwellenländern ebenso an Vertrauen verliert wie die alten Oligarchien, muß den Papst tief beunruhigen.
  • Weltreligionen: Das Pontifikat Benedikts XVI. wird überschattet sein von der Auseinandersetzung mit dem Islam. Die kritische Betrachtung des Christentums - befördert etwa durch Bibelforschung, Archäologie, Textanalyse - ist bei uns selbstverständlich geworden, hat aber in der katholischen Kirche berühmte Dissident/innen hervorgebracht, von Hans Küng bis Uta Ranke-Heinemann. Das hat die Öffentlichkeit geschult - nun auch für die kritische Betrachtung islamischer Quellen. Wird Benedikt XVI. es dabei belassen, islamischen Fundamenten einfach christliche entgegenzusetzen?
  • Eine der spannendsten Fragen ist: Wieviel Spielraum, wieviel Gestaltungsfreiheit wird Benedikt XVI. der Basis seiner Kirche künftig lassen? Wird er Wächter oder Ermutiger sein? Wird er die christliche Ökumene betonen oder den Primat Roms? Als Glaubens-Präfekt hatte Ratzinger 2003 einen Priester gemaßregelt, der auf dem Ökumenischen Kirchentag mit Protestanten das Abendmahl geteilt hatte. Beim Trauergottesdienst für Johannes Paul II. erteilte Ratzinger die Heilige Kommunion (das Abendmahl) auch Roger Schutz, dem Begründer des ökumenischen Ordens von Taize. Frère Roger ist Protestant.