So erlebte Weihbischof Jaschke seinen Professor Ratzinger

In der Öffentlichkeit verbreitete er stets eine Aura, die eine Mischung aus kühlem Intellektualismus und Glaubenseifer darstellte. Joseph Kardinal Ratzinger, seit Dienstag Papst Benedikt XVI., gilt vielen als unnahbar, ein Gesicht, das Rätsel aufgibt. Doch seit seinen Auftritten bei der Trauerfeier für Papst Johannes Paul II. und seinen ersten Worten an 100 000 Gläubige auf dem Petersplatz nach seiner Wahl sieht die Welt ein zweites Gesicht des Joseph Ratzinger. Es ist eines der Freude, des Stolzes und der Wärme.

Für Menschen, die Ratzinger persönlich begegnet sind, ist das keine Überraschung. Einer von ihnen ist Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, der in den 60er Jahren bei Ratzinger studiert und promoviert hat.

Jaschke hält Ratzinger für einen Menschen mit einer natürlichen Frömmigkeit. Darin liege der Kern seiner Persönlichkeit: Ohne Frömmelei und Eitelkeit zu leben, sondern ganz in der Hingabe an das große Geheimnis Gottes. Der neue Papst sei schon früher ein Theologe mit einer visionären Begabung gewesen. Jaschke vergleicht Ratzingers Theologie mit einer Melodie von Mozart. Er spiele gerne mit den theologischen Themen und bringe sie in einen großen harmonischen Zusammenklang. Ratzinger ist übrigens Mozart-Verehrer.

Als Lehrer, so Jaschke, habe Ratzinger seine Studenten begeistert, weil er Theologie nicht in der trockenen und antiquierten Sprache der Scholastik vermittelt habe. "Seine Theologie kam dem Herzen nahe", erinnert er sich. Ratzinger sei auch nie ein Lehrer von oben herab gewesen, der seine Überlegenheit ausgespielt habe. "Zu seiner Person auch als Lehrer gehörte eine gewisse scheue Zurückhaltung. Auf Applaus oder geistige Umarmung oder gar kumpelhafte Anbiederung legte er keinen Wert. Aber all dies war verbunden mit großer Freundlichkeit und Fairness." Jaschke: "Als ich bei ihm mein Examen ablegte, habe ich gespürt, wie er mit einer bayerisch barocken Weite die Prüfung abgenommen hat. Jenseits aller Pedanterie."

Zum Thema Geselligkeit fällt Jaschke ein, daß Ratzinger immer recht früh zu Bett ging. Ab 10 Uhr abends seien die Schüler meist unter sich gewesen. Der Weihbischof heute, 30 Jahre später: "Joseph Ratzinger war nie ein bajuwarischer Biertrinker." Für den Münchener Journalisten Peter Seewald, der Ratzinger wohl so nahe kam wie wenige Menschen zuvor, ist der neue Papst jemand, der gern auf Menschen zugeht. In zwei Büchern ("Das Salz der Erde", "Gott und die Welt") beschreibt Seewald den Theologen als "großen Weisen der Kirche". Ratzinger habe ein tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber der universitären Theologie. Sie säe eher Zweifel, anstatt Antworten im kirchlichen Sinne zu geben. "Gott", so erklärte Ratzinger in einem tagelangen Gespräch, das beide im Benediktinerkloster Montecassino geführt haben, ist "ein unendlich einfaches Wesen. Glaube ist eine einfache Angelegenheit." Ratzinger sieht sich selbst "als ganz normalen Christenmenschen" oder als "Arbeiter im Weinberg des Herrn", wie er nach seiner Wahl sagte.

Antworten, die ganz im Gegensatz zu dem angeblich kalten Intellektualismus Ratzingers stehen. Und die ähnlich wie bei seinem Vorgänger auf ein klares Bekenntnis zielen. Danach kann man zwar diskutieren, ob man katholisch sein will oder nicht. Aber wenn man sich entschieden hat, dann muß man zu dem stehen, was katholisch ist. In den Worten Ratzingers liest sich das so: "Wie soll man recht handeln können, wenn man nicht erkennen kann, was recht ist?"

Seewald, Ex-Maoist und aus der katholischen Kirche ausgetreten, kehrte übrigens nach seinem Treffen mit Ratzinger in den Schoß der Kirche zurück.