Drama in Grimma - Wie sich eine sächsische Familie in letzter Minute aus ihrem Haus rettete. Mutter, Vater und drei Kindern blieb nur, was sie am Leibe trugen.

Grimma. "Das Schlauchboot, da kommt das Schlauchboot!" Bis zur Hüfte steht Anna Heydrich (28) im ersten Stock ihres Hauses im Wasser. Die beiden älteren Kinder, Martin (7) und Maria (6), waten zum Fenster. Sie rufen und winken - dorthin, wo bisher die Grimmaer Schulstraße war und jetzt ein reißender Fluss vorbeirauscht. Die kleine Schwester Chiara (3) sitzt oben auf dem Hochbett, dem einzigen trockenen Flecken im Zimmer. Sie weint. "Sie müssen sofort raus, wir schaffen es nicht noch einmal hierher", riefen Helfer von draußen. Holger Heydrich (40), ein Polizeibeamter, hebt die Kinder durch das Fenster ins Schlauchboot. Dobermann King bellt wütend. Er will nicht ins Boot. Da packt Heydrich den Hund und wirft ihn einfach an Bord. Dann kämpft sich der Familienvater zurück ins Innere des Hauses. Auf der Treppe schwimmen Schuhe; unten im Erdgeschoss rumpeln Schränke gegen die Wand. Seine Frau greift sich, was sie noch zu fassen bekommt. Zum Glück erwischt sie wenigstens die Urkunden und Unterlagen, die das Haus betreffen. Dann klettert auch Anna Heydrich durch das Fenster ins Schlauchboot, das sie und die Kinder in Sicherheit bringt. Ihr Mann macht sich unterdessen mit anderen Polizisten in einem Boot auf den Weg, um hilflose alte Menschen aus ihren Wohnungen zu retten. Das Drama in Grimma hatte früh morgens begonnen. Um fünf Uhr war der Polizist Holger Heydrich von Kollegen aus den Träumen gerissen worden. "Da strömte das Wasser bereits durch unsere Straße", berichtet Heydrich. Er weckte seine Frau Anna. Im ersten Stock ihres Hauses in der Schulstraße schliefen die drei Kinder. Heydrich weckte auch sie, zog sie eilig an und trug sie in den zweiten Stock hinauf. Plötzlich ein gurgelndes Geräusch: Wasser drängte durch die Haustür in den Flur. Anna und Holger Heydrich rannten zurück ins Erdgeschoss: retten, was zu retten ist! "Das wird schlimm", sagte er besorgt zu seiner Frau. Dann fiel ihm seine Mutter ein. "Ich muss ihr helfen", rief er und rannte aus dem Haus. Sie wohnte einige Häuser entfernt in der Grimmaer Altstadt allein im Erdgeschoss. Holger Heydrich brachte sie in ein nahe gelegenes Altenheim. Zwei Stunden später wurde auch das überflutet. "Ich hoffe, es geht ihr gut. Ich habe seitdem nichts mehr von ihr gehört." Vom Altenheim eilte er zurück zu seinem Haus, um seine Frau und die Kinder in Sicherheit zu bringen. Immer wieder in den vergangenen Jahrhunderten war die sächsische Kleinstadt von Hochwassern heimgesucht worden. "Aber eine solche Sturzflut hat sich seit Menschengedenken hier nicht ereignet", sagt Heydrich, der in seiner Freizeit Touristen die Geschichte der Stadt an der Muldenfurt erzählt. Zu den Attraktionen gehört auch der historische Marktplatz mit einem der schönsten Renaissance-Rathäuser Sachsens, umgeben von barocken Bürgerhäusern. Der Platz war erst im vergangenen Jahr aufwendig restauriert worden. Jetzt war auch er überschwemmt, während die engen Straßen und Gassen immer mehr zu reißenden Strömen anschwollen. Heydrich und seine Kollegen versuchten zu fünft, im Schlauchboot gegen die Strömung anzupaddeln. In der Kreuzstraße trieben ihnen leere Särge eines Beerdigungsunternehmens entgegen. Die Männer bekamen Nachricht, dass in der Frauenkirche rund 60 Personen eingeschlossen sein sollen. Als sie in die Lange Straße einbogen, die zur Kirche führt, mussten sie jedoch rasch einsehen, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten. Die Strömung war viel zu stark. Nur ein Motorboot konnte noch zur Kirche durchkommen. "Wir haben uns mit Mühe durch die wirbelnden Fluten zurück in die Kreuzstraße retten können", erzählt Heydrich. "Selbst wenn wir es bis zur Kirche geschafft hätten, die Strömung hätte uns in die Töpferstraße und von dort in die Mulde gerissen. Das wäre das Ende gewesen", erzählt Heydrich. Was von seiner Heimatstadt nach der Flut noch übrig ist? Niemand weiß es. Heydrich und seine Familie sind in einem Nachbardorf bei Freunden untergekommen. Erst vor einem Jahr waren sie in ihr frisch renoviertes Haus gezogen. "Mir graut bei dem Gedanken, was wir vorfinden, wenn wir versuchen, die Tür zu öffnen." Einige Häuser am aufgeweichten Flussufer sind inzwischen eingestürzt. Straßen brachen unter der Last der Wassermassen zusammen. Holger Heydrich ist froh, dass die Kinder gerettet sind. "Alles, was wir jetzt noch besitzen, ist unser Leben und das, was wir am Leibe tragen", sagt er. "Ich habe immer noch die Hoffnung, dass ich aufwache und es war alles nur ein entsetzlicher Albtraum."