Geißlers Schlichtungsaufgabe scheint noch lange nicht zu Ende – Techniker und Analytiker gegen Aktivisten

Stuttgart/Berlin. Es sah alles so gut aus mit dem Stresstest für Stuttgart 21: Die Fahrplanmacher der Deutschen Bahn AG freuten sich, weil sie die Simulation einer 30-prozentigen Steigerung der Kapazität des tiefergelegten Bahnhofs ohne große Mehraufwendungen hinbekommen hatten. Vorwürfen, sie hätten getrickst, trotzten sie mit dem Argument, das würden die Gutachter der Schweizer Firma SMA ja merken. Doch jetzt wird das Verfahren zum Stresstest für die Befürworter.

Das Prozedere, auf das sich alle Beteiligten während der Schlichtung unter Heiner Geißler eingelassen hatten, war aus Sicht der Bahn genial: Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des mindestens 4,1 Milliarden Euro teuren unterirdischen Bahnhofsumbaus wurde von der politischen auf die logistische Ebene gesenkt. Entscheidend war fortan, ob der neue Bahnhof eine deutlich höhere Zugzahl verkraften würde, ohne viel teurer zu werden, und nicht mehr die Frage, ob es politisch gewollt ist. Um das herauszufinden, braucht man Fahrplansoftware, Fahrplanstrategen und leistungsfähige Compouter. Das hat von allen Beteiligten nur die Bahn AG.

Und die SMA. Sie hat nämlich bereits Simulationen für den zweiten Tunnel der Münchner S-Bahn angefertigt, als es dort zwei unterschiedliche Ausbauvarianten zu bewerten galt.

Inhaltlich kaum noch etwas zu melden hatten in dieser Situation die Ausbaugegner und die Politiker. Sie konnten nur gebetsmühlenartig die altbekannten, unvereinbar einander gegenüberstehenden Argumente von Umweltschutz, Lebensqualität, Kostenexplosion auf der einen und Zukunftsinvestition, Standortsicherung und eben Kapazitätssteigerung auf der anderen Seite wiederholen.

Und so bestand „Stuttgart 21“ aus Sicht der Deutschen Bahn den Stresstest. Die von Geißler erwogene Erweiterung um zwei unterirdische Gleise ist dazu nicht nötig, ebenso wenig wie zwei weitere Gleisbaumaßnahmen. Diese drei Erweiterungen hätten nach Berechnungen von Gegnern und Befürwortern eine dreistellige Millionensumme verschlungen.

Nach der Simulation muss nur der Flughafenanschluss zweigleisig werden. Überdies soll der Bahnknoten Stuttgart nicht nur die neue Signaltechnik ETCS, sondern auch weiter die konventionelle Technik vorhalten. Beides zusammen kommt laut Bahn auf zusätzlich 40 Millionen Euro. Für das Gesamtprojekt werden bislang offiziell 4,1 Milliarden Euro veranschlagt. Die Gegner des Projekts nehmen an, dass fünf Milliarden deutlich überschritten werden.

Vor der ursprünglich für den 11. Juli geplanten Übergabe des Gutachtens und der für den 14. Juli vorgesehenen Präsentation kam aber nun noch die Forderung an die Bahn, die Prämissen offenzulegen. In drei Runden wurde dies mit den SMA-Gutachtern vereinbart, obwohl deren Zwischenstand von Mitte Juni nur noch geringe „Vorbehalte“ gegenüber den Bahn-Testergebnissen festhielt. Durch die neuerlichen Meetings aber hatten sie nun überhaupt keine Zeit zur endgültigen Prüfung – so wurde jedenfalls am Freitag argumentiert -, so dass sie noch zehn weitere Tage bis zur Übergabe brauchten.

Also legte Geißler den Zeitpunkt zur Übergabe des Gutachtens auf den 21. Juli fest. Er verschob den Zeitpunkt der öffentlichen Präsentation auf „Ende Juli“ und den für die erste Vergabe fester Aufträge an Baufirmen vom 15. Juli auf die Zeit nach der Präsentation.

Ob das am Ende tatsächlich wie von der Bahn nicht ohne Drohgebärden angegeben, eine Verzögerung des ganzen Projekts um anderthalb Jahre wegen der Fristen für internationale Ausschreibungen und für Fahrplanwechsel bedeutet, muss zunächst offen bleiben. Noch steht der Termin Dezember 2019 für die Inbetriebnahme des unterirdischen Bahnhofs.