“Stuttgart 21“-Gegner stürmten die Baustelle erneut. Die Aktion rief unterschiedliche Reaktionen hervor. Polizisten erlitten Knalltrauma.

Stuttgart. Das Stuttgarter Bahnhofsprojekt schien schon fast ein wenig in Vergessenheit zu geraten. Doch am Montagabend brach ein regelrechter Sturm der Entrüstung der «Stuttgart 21»-Gegner los. Rund ein Dutzend Aktivisten dringt nach einer Demonstration auf die Baustelle am Grundwassermanagement hinter dem Hauptbahnhof. Zusammen mit weiteren Demonstranten reißen den Bauzaun ein, Dutzende stürmen das Gelände.

Eine ältere Frau steht außerhalb der gestürmten Baustelle und beobachtet das Treiben mit Genugtuung. «Es war höchste Zeit, dass man dem Unmut mal wieder Luft macht», sagt sie, denn im Grunde seien die «Stuttgart 21»-Gegner «viel zu artig». Die Stürmung auf der Baustelle hält sie für gelungen, niemand an diesem Abend habe damit gerechnet. Dieser Protestsommer müsse ihrer Ansicht nach noch radikaler werden als der vergangene.

Einige Aktivisten besetzen die Halle, die die Grundwasseraufbereitungsanlage beherbergt, andere klettern auf die daneben stehenden Wasserbehälter und die Baucontainer. «Wir sind gekommen, um zu bleiben», ruft ein Parkschützer mit einem Megafon den abwartenden Demonstranten auf der anderen Seite zu.

Während die einen auf der Baustelle das Gelände besetzt halten, formiert der Großteil der Demonstranten auf der anderen Straßenseite die angekündigte Menschenkette. Eine Percussion-Combo spielt, es wird gesungen, ein wenig kommt Volksfeststimmung auf. Die Polizei steht in einiger Entfernung und wartet, dass sich die aufgeheizte Stimmung wieder legt.

Doch obwohl noch mehr Demonstranten auf das Gelände gepasst hätten, füllt sich die Baustelle nicht ganz. Ein junger Mann hat handfeste Gründe, weshalb er sich nicht auf die Baustelle traut. «Mir steckt der 'Schwarze Donnerstag' noch in den Knochen», sagt er mit Blick auf den 30. September 2010 als die Polizei Pfefferspray, Schlagstöcken und Wasserwerfer gegen die Demonstranten einsetzte. «Ich weiß nicht, wie die Polizei vorgeht.»

Die Stürmung der Baustelle findet jedoch nicht bei der gesamten Protestbewegung Zuspruch. Ein 36-jähriger Demonstrant sagt: «Das sind verzweifelte Leute, die hier oben stehen. Die handeln rechtswidrig, das muss man auch klar sagen.» Ein 82-jähriger Demo-Teilnehmer im Schlossgarten sagt: «Ich finde es nicht gut, aber ich habe Verständnis. Ich würde es selbst nicht machen.»

Auch die Befürworter von «Stuttgart 21» sind am Montag zur Baustelle gekommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Charlotte Bräuchle sagt, dass dieser Protest nicht mehr friedlich sei. «Was ich für sehr gefährlich halte, ist diese Grundeinstellung: Es ist alles erlaubt.»

Das erfuhren einige Polizisten später am eigenen Leib. Am Montagabend wurden insgesamt neun Polizisten verletzt. Acht Beamte hätten durch einen Sprengkörper ein Knalltrauma erlitten. Ein Zivilbeamter sei brutal zusammengeschlagen worden, als er Personalien von Aktivisten feststellen wollte. Er habe schwere Kopf- und Gesichtsverletzungen erlitten. Alle neun Beamte würden im Krankenhaus behandelt.

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth glaubt unterdessen nicht, dass der neue Tiefbahnhof in Stuttgart gebaut wird. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wolle zwar Regierungschef aller Bürger sein, sagte Roth. "Aber er wird alles versuchen - legal, unter großer Einbeziehung vieler Menschen -, dass dieses unsinnige Projekt nicht zustande kommt."(dapd/abendblatt.de)