Die Kanzlerin eröffnete die Hannover Messe trotz Knie-OP. Wirtschaftsminister Brüderle dagegen wird auf der Schau nicht erscheinen.

Hannover. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihrem operierten Knie getrotzt und die Hannover Messe am Sonntag auch auf Krücken eröffnet. Im Gegensatz zu Merkel nicht erscheinen in Hannover wird Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Der umstrittene stellvertretende FDP-Vorsitzende sagte einen für Dienstag geplanten Rundgang über die Messe ab. Das teilte der Veranstalter am Montag mit. Angesichts der Führungskrise in der FDP sagte Brüderle auch weitere Termine ab, darunter die Teilnahme am Sparkassen-Forum „Deutscher Mittelstand“. Die FDP hat für Dienstagmittag Sitzungen von Präsidium, Landesvorständen und Fraktion anberaumt. Dabei soll die neue Personalaufstellung diskutiert werden.

Brüderle ist wegen der sogenannten Protokoll-Affäre in der Kritik. Er soll angeblich kurz vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg beim Bundesverband der Deutschen Industrie die Atomwende der Regierung als Wahlkampfmanöver dargestellt haben.

Ausstieg aus Kernenergie im Mittelpunkt

Derweil steht auf der Hannover Messe der bei vielen Ausstellern der Ausstieg aus der Kernenergie im Mittelpunkt. Und die Debatte dreht sich nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Dass sich Deutschland nun doch rascher als zunächst geplant aus der "Brückentechnologie“ Atomkraft verabschieden soll, steht für die meisten Aussteller und Verbände seit dem Schock von Fukushima kaum noch infrage. Verschiedene Vorstellungen gibt es jedoch weiterhin über die Modalitäten des Ausstiegs – und darüber, wie sich die Planungssicherheit für die Wirtschaft beim angepeilten Ausbau der erneuerbaren Quellen verbessern lässt.

"Abschalten ja – aber das reicht nicht“, betont Hans-Peter Keitel vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Nur die Atomenergie zu kritisieren, ohne eine genaue Alternative zu formulieren, greift aus Sicht des Präsidenten des größten deutschen Industrieverbands zu kurz: „Man muss auch sagen, was an diese Stelle treten soll.“ Keitel fordert eine ausgewogene und zugleich offene Diskussion.

Bei allem Mitgefühl für die Opfer der Atom-Tragödie in Japan müsse man die Zukunft der Kern- und auch der regenerativen Energien sachlich erörtern, verlangt der BDI-Chef. Das dreimonatige Moratorium für die ältesten deutschen Atommeiler müsse genutzt werden, um die Wende zu den erneuerbaren Energien rasch voranzubringen. „Wir wollen aber nicht, dass die Ergebnisse schon vorher feststehen“, sagt Keitel mit Blick auf die umstrittenen Pläne zum Bau neuer Stromtrassen sowie auf die erste Sitzung der Ethikkommission zur Zukunft der Atomenergie.

Noch in dieser Woche wollen sich Vertreter verschiedener Wirtschaftsverbände im Bundeswirtschaftsministerium treffen, um die ökonomischen Auswirkungen der Katastrophe von Fukushima zu analysieren. Obwohl Deutschland voraussichtlich nicht so stark von unterbrochenen Lieferketten betroffen ist, warnt Keitel vor vorschneller konjunktureller Euphorie im laufenden Jahr: „Japan zeigt, wie fragil das gesamte System ist. Wir sind noch nicht in einer Situation, in der wir aus dem Vollen schöpfen.“ In diesem Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft ungeachtet des Atom-GAUs um weitere 2,5 Prozent wachsen – im vorigen Jahr waren es stolze 3,6 Prozent.

Fukushima zwingt zu Kurswechsel

Dennoch: Die radioaktiven Folgen des schweren Tsunami zwingen die Energiewirtschaft laut BDI zu einem fundamentalen Kurswechsel. Das sieht auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) so – zuvor sollten aber die Befürworter der regenerativen Energien konkret sagen, ob sie zu den nötigen Zugeständnissen bereit sind. „Wenn ich die Proteste einiger Bürgerinitiativen gegen neue Stromleitungen oder gegen Pumpspeicher-Werke sehe, könnte das schon auf einen neuen Zielkonflikt hinauslaufen“, warnte BDEW-Chefin Hildegard Müller.

Der bisherige Dialog über den Umstieg habe zu Fehleinschätzungen geführt. Eine Neuausrichtung des Energiesektors in Deutschland dürfe zudem nicht auf Kosten der Versorgungssicherheit gehen, unterstreicht Müller. So habe die Verknappung der verfügbaren Strommenge seit Beginn des Moratoriums schon deutliche Preissteigerungen ausgelöst.

Auch die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sehen im Umbau der Energieversorgung prinzipiell hervorragende Perspektiven. „Unsere Technik kann verhindern, dass es dunkel wird“, sagt der Chef des Branchenverbands VDMA, Thomas Lindner. Dazu müsse es aber ein klares, parteiübergreifendes Konzept geben, die Industrie brauche langfristig gültige Investitionsbedingungen. „Energiepolitik darf nicht nach Gefühl und Wellenschlag funktionieren, sondern muss Stabilität für 20, 30 Jahre und mehr geben“, sagt Lindner. Wenn die Politik weiter solche „Volten“ mache wie in der Vergangenheit, dann setze sie den Industriestandort Deutschland aufs Spiel.

Ohne Netzausbau kein Atomstrom-Ersatz – in diese Richtung geht nicht zuletzt auch die Argumentation von Großverbrauchern wie der Stahlindustrie. Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, will steigende Preise zumindest nicht ausschließen: In der Debatte um einen neuen Energiemix befürchtet er ein „Trilemma“ zwischen Energiepolitik, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit.

VW zeigt emissionsfreien "Beetle"

Neue Energiespar-Wege geht Volkswagen: Auf der Messe präsentiert der Autobauer eine wiederbelebte Auto-Ikone. Als Studie zeigt VW eine Neuauflage des legendären VW-Busses Bulli. Doch anders als das Modell aus den fünfziger Jahren hat das Konzeptauto einen emissionsfreien Motor unter der Haube – es ist ein Elektro-Bulli. Die Studie habe das Potenzial, eine neue fünfte Van-Baureihe zu begründen, heißt es in einer Mitteilung von VW. Ob das Auto aber jemals in Serie geht, steht noch in den Sternen.

Derweil erwartet der Maschinenbauverband VDMA ein starkes Anziehen der Nachfrage nach Windkraftanlagen. Die weltweite Zahl der Neuinstallationen von Anlagen werde in diesem Jahr im hohen einstelligen Bereich wachsen, sagte der Geschäftsführer von VDMA Power Systems, Thorsten Herdan, am Montag auf der Hannover Messe. „2012 kann die globale Windindustrie dann erneut deutlich zweistellig zulegen“, fügte er hinzu.

Nach Angaben von Herdan ging die Zahl der Neuinstallationen von Windkraftanlagen im Krisenjahr 2010 weltweit um 6,5 Prozent zurück. In diesem Jahr könne die Branche mindestens wieder beim Rekordniveau des Jahres 2009 landen, sagte er weiter. 2012 werde das Wachstum der Branche stark von der Entwicklung der Offshore-Technologie abhängen. Die Branche rechne bei dieser mit einem Plus von zehn Prozent.

Lesen Sie hierzu auch den Bericht vom 3. April:

Merkel will Industrie nicht dem Atomausstieg opfern

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Interessen der deutschen Industrie nicht einem Ausstieg aus der Atomenergie opfern. "Es kann nicht sein, dass wir Energieversorgung und industriellen Standort gegeneinander ausspielen", sagte sie am Sonntag zur Eröffnung der Hannover Messe vor mehreren Hundert Managern.

Aufgabe sei es, einen Atomausstieg "mit Augenmaß so schnell wie möglich zu erreichen". Durch die Katastrophe in Fukushima hat das Wort Restrisiko «eine neue Bedeutung erhalten", sagte die Kanzlerin. Man dürfe nun "nicht so tun, als hätten wir auf alle Fragen eine Antwort".

Merkel nahm im Zusammenhang mit einem Atomausstieg auch die Gegner von Infrastrukturprojekten in die Pflicht: «Wer ja zu erneuerbaren Energien sagt, muss auch ja zum Ausbau der Infrastruktur sagen», machte Merkel klar. "Nur indem man gegen etwas ist, wird man den Übergang in ein Zeitalter der erneuerbaren Energien nicht schaffen", sagte die CDU-Politikerin angesichts zahlreicher Widerstände etwa gegen neue Hochspannungsleitungen.

Der französische Premierminister Francois Fillon betonte bei der Messeeröffnung die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft bei der Überwindung der Schuldenkrise in Europa. "Das deutsch-französische Paar hat wieder einmal gezeigt, dass es in der Lage ist, seine Differenzen zu überwinden und im Interesse aller handelt", sagte er. "Wir sind die Motoren Europas", fügte er hinzu.

Vorher hatte BDI-Präsident Hans-Peter Keitel gesagt, die deutsche Wirtschaft stehe zurzeit gut da. "Die Erfolgsgeschichte der deutschen Industrie setzt sich 2011 fort. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, aber die Lage ist mit Blick auf die Tragödie in Japan und die Krise der Euro-Zone fragil", sagte Keitel auf der Eröffnungsfeier.

Keitel forderte mehr Investitionen in Deutschland. "In Deutschland wird nicht genug investiert, das müssen wir ändern." Er kündigte eine Liste mit 128 Handlungsfeldern an, «mit denen sich die Investitionstätigkeit in Deutschland dauerhaft erhöhen lässt». Dazu gehörten das Steuerrecht und Finanzierungsfragen.

Zur größten Industriemesse der Welt haben sich von Montag bis Freitag rund 6.500 Firmen aus 65 Ländern angekündigt. (dapd/abendblatt.de)