Der Amerika-Koordinator der Bundesregierung, Hans-Ulrich Klose, analysiert für das Abendblatt die US-Zwischenwahlen.

Hamburg. Für den Wahlausgang in den USA ist nach Ansicht des Koordinators der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen und ehemaligen Bürgermeisters von Hamburg, Hans-Ulrich Klose (SPD), die Wirtschaftskrise mitentscheidend gewesen. Das Abendblatt sprach mit Klose.

Hamburger Abendblatt:

Was ist der Grund für die verheerende Wahlniederlage?

Hans-Ulrich Klose:

Die Demokraten haben verloren, weil in Amerika eine gewisse Ängstlichkeit vorherrscht, die gelegentlich in Zorn umschlägt. Und die Ängstlichkeit hat zu tun mit den Millionen Zwangsversteigerungen von Häusern - Familien verlieren ihr Heim -, hat zu tun mit einer Arbeitslosigkeit, die höher ist als zehn Prozent, und mit Abstiegsängsten in der Mitte der Gesellschaft. Man kann ganz schnell von einem 60 000-Dollar-Job auf gar nichts fallen. Und irgendwelche sozialen Netze, die einen auffangen, gibt es nicht. Das ist der wesentliche Punkt.

Aber warum trifft es dann die Demokraten, die für mehr Staatshilfe stehen?

Klose:

Das ist der Widerspruch. Obama hat versucht den Lehren von Keynes folgend die Misere, die er geerbt hat, aufzufangen. Aber das ist ihm nicht gelungen. Die Flexibilität des Arbeitsmarktes ist verschwunden.

Warum werden Obamas Erfolge - Gesundheitsreform, Finanzregulierung, Bildungsprogramme - so wenig wahrgenommen?

Klose:

Das Stichwort Gesundheitsreform macht das am besten klar. Aus europäischer Sicht ist dies endlich eine vernünftige Regelung. Aber in Amerika gibt es eine Aversion gegen staatlich verordnete Solidarität. Das ist das amerikanische Freiheitsverständnis. Danach ist jeder seines Glückes Schmied; wenn einer keine Versicherung hat - selber schuld.

Was macht den Erfolg der Tea Party aus?

Klose:

Sie hat die Angst in der Gesellschaft aufgegriffen und in populäre Formeln übersetzt. Die Tea Party ist auch eine Graswurzelbewegung - massiv finanziert von Lobbygruppen und Unternehmen, die handfeste Interessen vertreten. In amerikanischen Wahlkämpfen spielt Geld eine viel größere Rolle als bei uns.

Geht es dabei auch um zunehmenden Rassismus?

Klose:

Das kann ich nicht ausschließen. Von vielen Leuten der amerikanischen Mittelklasse im Mittleren Westen wird Obama als Anti-Typ wahrgenommen. Dass er nun einen afrikanischen Vater hat - das mag bei einigen auch eine Rolle gespielt haben, obwohl sie es nicht zugeben würden.

Welche Lehren sollte Obama aus dem Wahlausgang ziehen?

Klose:

Populär formuliert: Er sollte jetzt nicht maulen. Er sollte das Ergebnis nehmen, wie es ist. Das scheint er ja auch zu tun. Er hat den Republikanern schon angeboten, über vernünftige Formen der Kooperation zu reden. Das hätte er meines Erachtens früher tun müssen. Wenn er dieser Linie folgt, werden die Republikaner in Schwierigkeiten kommen: Sie müssen sich dann entscheiden, ob sie auch als Mehrheit im Repräsentantenhaus immer nur Nein sagen. Oder ob sie - weil sie die Mehrheit im Haus haben - mitverantwortlich sind.

Wird sich die Außenpolitik ändern?

Klose:

Sie könnte in Zukunft eine größere Rolle spielen. Präsidenten, die innenpolitisch durch andere Mehrheitsverhältnisse behindert sind, verlegen sich häufig verstärkt auf die Außenpolitik. Und da gibt es ja auch eine ganze Menge zu erledigen: Nahost, Iran, Afghanistan. Und die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit wird wahrscheinlich schon deshalb intensiver, weil Deutschland die nächsten zwei Jahre im Sicherheitsrat der Uno vertreten ist und damit automatisch eine größere Rolle spielt.

Ist die Wahl ein Fingerzeig für die Präsidentschaftswahl 2012?

Klose:

Ich glaube nicht. Bei Zwischenwahlen gewinnt normalerweise die Partei, die nicht den Präsidenten stellt. Normalerweise gewinnt sie sogar die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses. Für die Präsidentschaftswahlen ist die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend. Wenn sich die Wirtschaft verbessert, wird auch der amerikanische Optimismus durchschlagen, der vielen abhandengekommen ist. Wenn es Obama gleichzeitig gelingt, die extreme Polarisierung, die geradezu hasserfüllt ist, zu überwinden, dann hat er gute Chancen, wiedergewählt zu werden.