Der Republikaner John Boehner kann künftig als Speaker des Repräsentantenhauses Vorhaben des Präsidenten Obama blockieren.

Hamburg/Washington. Die frenetisch begrüßte Politik des "Change", jenes Wandels, der mit der Wahl Barack Obamas 2008 über Amerika hereingebrochen war, manifestierte sich wohl nirgendwo so eindrucksvoll wie in der Person des neuen Präsidenten selber: Das erste schwarze Staatsoberhaupt in der Geschichte der USA, ein Mann mit multikulturellem Hintergrund, der in Asien gelebt hatte, liberal, weltoffen und überdies sozial engagiert. Obama, der zuvor kaum über die Grenzen seines Heimatstaates bekannte Senator aus Illinois, der wie ein Korken aus dem Meer der amerikanischen Provinzpolitik emporschnellte, war der radikale Gegenentwurf zu der erzkonservativen Fronde um den Texaner George W. Bush. Doch in Zeiten der Krise neigt das Pendel der Politik auch in den USA zu großen Ausschlägen.

Die Folgen der Kongresswahlen stellen dem "schwarzen Kennedy" Obama nun einen Mann gegenüber, der in allen Eigenschaften das Gegenteil des Präsidenten darstellt.

Der Republikaner John Boehner , bislang Fraktionschef seiner Partei, dürfte nun Sprecher des Repräsentantenhauses werden. Den stellt immer die stärkste Partei - und das sind künftig die Republikaner. Boehner würde dann die Demokratin Nancy Pelosi in diesem Amt ablösen - eine Genugtuung für die Konservativen, namentlich die Tea-Party-Bewegung, denn die erzliberale Pelosi wuchs neben Obama zum Feindbild der Republikaner heran.

Hatte der Präsident in Pelosi bislang eine mächtige Mitstreiterin, die sich massiv hinter seine Gesetzentwürfe stellte, so bekommt er mit Boehner nun einen erbitterten Gegner. Größere Gegensätze als zwischen dem mächtigsten und dem dann drittmächtigsten Politiker Amerikas - nach Präsident und Vizepräsident - ließen sich kaum denken.

Während Obama nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegen das Washingtoner Haifischbecken machte, schwimmt Boehner seit 20 Jahren lässig darin herum. Der 60-Jährige mit der Dauerbräune, die Obama zu der spitzen Bemerkung veranlasste, "der Herr Boehner ist noch dunkler als ich. Allerdings kommt seine Hautfarbe nicht in der Natur vor", ist ein Lobbyist, der sich dafür nicht im Geringsten schämt. Eine Zügelung der Gier von Big Business und Banken, wie sie Obama vorschwebt, ist von ihm kaum zu erwarten.

Der Sohn eines - demokratischen - Kneipenwirts aus Ohio, der in einem wenig begüterten Zwölf-Kinder-Haushalt aufwuchs und mit einer Plastikfirma zum Millionär wurde, ist im Gegensatz zu Obama kein begnadeter Redner. Doch Boehner wurde ausgerechnet mit einer Ansprache zum Star seiner Partei. Im März hatte er vor der Abstimmung über Obamas Gesundheitsreform im Repräsentantenhaus vehement gegen das Vorhaben gewettert und schließlich mit hochrotem Kopf gebrüllt: "Zur Hölle - nein!" Das "Hell - no!" wurde zum Kampfschrei der Obama-Gegner.

Es ist ein politischer Treppenwitz, dass die konservative Revolte gegen Washington, gegen das verhasste Polit-Establishment, nun ausgerechnet eine mit allen Wassern gewaschene graue Eminenz der Hinterzimmer nach oben spült. Der Wirtschaftsfreund, Golfspieler und Genussmensch Boehner gilt als raffinierter Strippenzieher, dem es in diesem Wahlkampf gelang, Sponsoren 44 Millionen Dollar für die Grand Old Party aus den Taschen zu ziehen. 1995 verteilte er auf den Fluren des Repräsentantenhauses unbekümmert Spendengelder der Tabak-Lobby - kurz vor einer Abstimmung über weitere Subventionen für die Tabakindustrie.

Boehner hat sich vorgenommen, vor allem die sozialen Gesetzesvorhaben Obamas wie die Gesundheitsreform zu Fall zu bringen, und will das Rentenalter auf 70 Jahre anheben. Als einflussreicher Speaker des Hauses ist er zumindest zu einer fatalen Blockadepolitik fähig - er könnte bis zum Ende der Obama-Amtszeit praktisch jede Gesetzesinitiative aufhalten. Denn Boehner kann dann darüber entscheiden, welche Gesetzentwürfe zur Abstimmung kommen. Obama, der kühle Intellektuelle, dem Zweckkumpanei, Schacherei und Polit-Kungelei nicht liegen, wird wider seine Natur mit Boehner Kompromisse aushandeln müssen, um nicht zur präsidialen "lahmen Ente" zu werden. Schon gestern deutete er an, dass er zu Zugeständnissen bereit ist. Er wolle in der Klimapolitik nach Alternativen zu seinen bisherigen Vorschlägen suchen, sagte Obama. Sie seien nicht die einzige Möglichkeit zur Bekämpfung der globalen Erwärmung.

Obama und Boehner haben trotz aller Unterschiede eines gemeinsam: In zwei Jahren werden beide von ihren Anhängern an dem bis dahin Erreichten gemessen werden. Boehner muss dabei einen Spagat meistern: Vor allem die Tea Party erwartet von ihm eine Blockadepolitik gegen Obama, der Bürger jedoch eine Gesundung Amerikas. Und falls der Wähler merken würde, dass die Republikaner überfällige Reformen aus ideologischen Gründen blockieren, könnte dies den Demokraten 2012 am Wahltag nützen.