Auch Aktivisten von Attac aus Hamburg entsetzt: “Ich verstehe nicht, was in deren Köpfen vorgeht.“

Rostock. Sie wollen es sich nicht kaputt machen lassen. "Es war eine gute Veranstaltung", sagt Marianne Wildberger (47). "Die Krawalle waren furchtbar, aber das ist für mich ein Nebenschauplatz." Natürlich wird im Bus zurück von Rostock nach Hamburg darüber geredet: die brutalen Straßenschlachten am Rande der Anti-G-8-Demonstration. "Ich habe davon eigentlich kaum etwas mitbekommen", sagt Wildberger.

Die Attac-Aktivistin und ihre Mitstreiter, die mit einem der Busse morgens vom Heiligengeistfeld gestartet waren, standen spätnachmittags an der Bühne, als die Autonomen hundert Meter entfernt ein Auto auf einem Behindertenparkplatz anzündeten. Das einzige weit und breit.

Auch Katja Wilken (38) befand sich mit Schwester und Schwager auf der anderen Seite des Kundgebungsplatzes, als die Rauchfahne aufstieg und immer schwärzer wurde. Eine Gruppe schwarz gekleideter junger Leute rannte in ihre Richtung. In der Luft stand Tränengas. "Wenn jemand Steine wirft, finde ich das falsch", sagt die erfahrende Hamburger Demonstrantin, die zwei kleine Kinder hat. "Aber ich weiß, dass die Polizei solche Bilder braucht und sie provoziert."

Die Bilder vom brutalen Höhepunkt der Ausschreitungen werden die Demonstranten aus Hamburg erst Stunden später im Fernsehen anschauen; nach dem ausgeklügelten Organisationsplan soll ihr Bus 185 um 18.30 Uhr nach Hamburg abfahren, und der Weg zum Parkplatz ist fünf Kilometer lang.

Derweil beginnen auf der anderen Seite des Kundgebungsplatzes am Stadthafen die Flammen höher zu schlagen. Schwarz gekleidete, teilweise vermummte Autonome brechen mit roher Gewalt Steine aus einer Mauer, reißen ein Verkehrsschild aus der Verankerung, verwüsten zwei Pkw. Ein Parkscheinautomat liegt bereits zertrümmert am Boden. Steine und Flaschen fliegen. "Kriegsähnliche Zustände", sagt ein Restaurantbetreiber, dem der Schreck ins Gesicht geschrieben steht.

Als die Polizei gegen 18 Uhr mit fünf Wasserwerfern vorfährt, gibt es schon die ersten verletzten Beamten. Mehr als 400 werden es insgesamt sein, sagt die Polizei später. 30 sind schwer verletzt. Bereitschaftspolizisten marschieren auf, kesseln Demonstranten ein. Immer wieder werden einzelne aus der Menge geschleift. Derweil wehen von der Bühne die melodischen Popsongs der Band Juli über den Platz.

Es ist das unerwartet brutale Ende eines friedlichen Protesttages. Stundenlang waren Zehntausende in zwei Zügen durch Rostock gezogen: Gewerkschafter, Junge mit Rastalocken, Kommunisten, Linke, Schüler, viele Ältere, auch Autonome. Laute Musik dröhnt, Transparente werden geschwenkt: "No G8". Mittendrin die Hamburger. Marianne Wildberger hat einen Attac-Wimpel an ihrem Rucksack befestigt, sich eine bunte Pace-Fahne umgeschlungen.

"Das sind alles Menschen, die gemerkt haben, so geht das nicht weiter. Wir müssen etwas tun", sagt sie. Es ist mehr eine innere Haltung als konkrete politische Alternativen, die die bunt zusammengewürfelte Gruppe zusammenhält. Und der Glaube, dass Veränderungen möglich sind: "Wenn man die ganzen Proteste der letzten Jahre wegdenkt, sähe die Welt anders aus", sagt Katja Wilken. Die Rostocker am Straßenrand lassen sich anstecken. "Ich finde auch, dass der G-8-Gipfel in dieser Form nicht mehr sein sollte", sagt eine Rentnerin. "Wir sind begeistert. Anders als befürchtet läuft alles ganz friedlich", meint Brigitte Ostrowski (60).

Doch kaum ist der Zug am Kundgebungsplatz angekommen, dreht sich die Stimmung. Auslöser der Gewalt war laut Veranstalter ein Polizeiwagen, der leer auf dem Demonstrationsgelände geparkt gewesen sein und den Ärger einiger Fanatiker erregt haben soll. Die ersten Steine fliegen. Zunächst nur ein kleinerer Zwischenfall. Doch die Atmosphäre bleibt angespannt. Vom Podium macht ein Sprecher Stimmung gegen die Polizei, fordert sie auf, sich zurückzuziehen. Immer wieder gibt es kleine Scharmützel. Etliche Demonstranten solidarisieren sich mit den Vermummten. Ein Hubschrauber kreist über dem Gelände.

Als die Lage vollends aus dem Ruder läuft, ist es früher Abend. Szenen einer Straßenschlacht. Und danach ein Bild der Verwüstung. "Ich verstehe nicht, was in euren Köpfen vorgeht", schimpft eine ältere Frau auf einige Autonome ein. "Ihr müsst doch nicht alles kaputt machen. Ich bin enttäuscht." Neben ihr wärmen sich zwei Mädchen in Schwarz an einem Feuer - bis Bereitschaftspolizisten es austreten.

"Es macht mich so traurig", sagt Sigrid Stahl (53) und hat Tränen in den Augen. Mit Mann und zwei erwachsenen Kindern war sie aus Bad Doberan zu der Demonstration angereist. "Solche Bilder kennt man sonst nur aus dem Fernsehen." Inzwischen ist die Rostocker Innenstadt abgeriegelt.

Aber es ist nicht zu Ende. Die Polizei gibt die Zahl der gewaltbereiten Autonomen mit 2000 an. Attac-Sprecher Werner Rätz, einer der Demo-Organisatoren, entschuldigt sich ungewöhnlich deutlich bei der Polizei. Auch Demonstranten hätten Anteil an der Eskalationsdynamik. "Es tut uns leid." Das klingt auch ein bisschen resigniert. Waren doch die Veranstalter besonders stolz auf das breit angelegte Bündnis gewesen.

Auch die Hamburgerin Wildberger sagt später: "Jetzt stehen wieder nur die Krawalle im Vordergrund, die Inhalte gehen unter." Um 22 Uhr sind die Busse in Hamburg . Über Rostock kreist noch immer der Hubschrauber.