Assad ernennt nach Tod von Dawud Radschha neuen Verteidigungsminister. Innenminister schwerverletzt. Merkel ruft zur Syrien-Resolution auf.

Beirut/Berlin/Moskau. Der syrische Verteidigungsminister Dawud Radschha und ein Schwager von Präsident Baschar al-Assad, Asef Shawkat, sind am Mittwoch bei einem Selbstmordattentat auf das Sicherheitsministerium in Damaskus getötet worden. Das berichtet das staatliche Fernsehen. Schawkat war stellvertretender Kommandeur der Streitkräfte. Auch Innenminister Ibrahim al-Schaar ist nach Angaben von Aktivisten schwerverletzt. Der Sprengsatz detonierte während eines Treffens von Ministern und Sicherheitskräften. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters soll der Attentäter ein Leibwächter aus Assads Umfeld sein. Insgesamt seien fünf Menschen dabei ums Leben gekommen, berichtet das Staatsfernsehen. Nach Angaben des Nachrichtensenders "BBC" wurden mehrere Minister schwerverletzt. Zu dem Attentat hat sich den unbestätigten Berichten zufolge die oppositionelle Freie Syrische Armee bekannt.

Nur wenige Stunden nach dem Tod von Daud Radschaha meldeten staatliche Medien, dass General Fahd Dschasim al-Fredsch zum neuen Verteidigungsminister ernannt worden sei. Er stammt aus der Provinz Hama, die zu den Hochburgen der Gegner von Präsident Assad gehört.

+++Millitär beschießt Rebellen aus Hubschraubern+++

Unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Lage in Syrien hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den UN-Sicherheitsrat aufgerufen, sich jetzt schnell auf eine Resolution zu einigen. Die Nachrichten des staatlichen Fernsehens in Syrien über den tödlichen Anschlag auf Verteidigungsminister Daud Radscheha zeigten, dass es dringend Zeit sei, die nächste UN-Resolution zu verabschieden, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin. Alle Staaten der internationalen Gemeinschaft sollten nun daran mitwirten, „dass die Verletzung der Menschenrechte dort ein Ende hat“. Bisher wird eine Resolution durch Russland blockiert, das Sanktionen gegen Syrien kategorisch ablehnt.

Der UN-Sondergesandte Kofi Annan hat nach russischen Angaben eine neue Konferenz unter Einbeziehung des Iran und Saudi-Arabiens. Annan habe die Idee bei seinem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin in Moskau als „hilfreich“ gelobt, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch nach Angaben russischer Agenturen. Russland hatte das Fehlen der Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien bei der Genfer Konferenz am 30. Juni kritisiert. Lawrow warf dem Westen vor, kein wirkliches Interesse an einer Einigung im Weltsicherheitsrat auf eine gemeinsame Resolution zu haben. Dennoch seien Gespräche „nicht nutzlos“.

+++Annan spricht von einem "Schlüsselmoment" für Syrien+++

Rebellen und Regierungstruppen liefern sich seit Tagen Kämpfe in der syrischen Hauptstadt. Dabei sollen auch Panzer und Scharfschützen eingesetzt worden sein. Am Mittwoch wurde Rebellen und Anwohnern zufolge auch in der Nähe des Präsidentenpalastes gekämpft.

Die Rebellen erklärten am Dienstag, sie würden ihre Angriffe in Damaskus intensivieren und strategisch wichtige Punkte ins Visier nehmen. „Wir haben die Operation zur Befreiung Damaskus' begonnen“, sagte der Sprecher der Rebellentruppe Freie Syrische Armee, Oberst Kassem Saadeddine. Die Rebellen hätten der Aktion den Namen „Vulkan Damaskus und Erdbeben Syrien“ gegeben. Im Stadtbezirk Kabun schossen die Rebellen nach eigenen Angaben einen Hubschrauber der Armee ab. Die niedrig fliegenden Hubschrauber seien mit Luftabwehrwaffen ein leichtes Ziel, sagte ein Rebellenkommandeur.

Die syrische Regierung, die bislang zu den Kämpfen in Damaskus geschwiegen hatte, bestätigte diese am Dienstag. Die Sicherheitskräfte hätten Kämpfer gestellt, die in die Hauptstadt eingedrungen seien, sagte Informationsminister Omran Soabi. Einige von ihnen seien geflohen, andere hätten sich ergeben. Aufständische berichteten, im Stadtviertel Tadamon seien Raketen und Artilleriegeschosse eingeschlagen. Die Armee setze auch Kampfhubschrauber ein. In Midan seien Scharfschützen auf den Dächern in Stellung gegangen. Auf Videos im Internet waren Männer in Jeans mit Granatwerfern zu sehen sowie brennende Reifen und Rauchsäulen über der Stadt. „Überall sind Soldaten. Ich kann Rettungswagen hören“, sagte ein Anwohner. Man fühle sich wie im Krieg. Die Berichte aus Syrien können kaum überprüft werden, weil die Regierung ausländische Journalisten den freien Zugang verwehrt.

+++Muslimbruderschaft erwartet Sturz von Diktator Assad+++

Im benachbarten Israel gehen Sicherheitsexperten davon aus, dass der syrischen Führung die Kontrolle über Damaskus aus den Händen gleite. Präsident Assad ziehe bereits Truppen von der Grenze zu Israel ab, um die Einheiten um Damaskus zu verstärken, sagte der Chef der Militäraufklärung Generalmajor Awiw Kochawi, vor dem Parlament. „Die syrische Armee geht sehr brutal vor; das zeigt die Verzweiflung des Regimes“, sagte er. Assad habe Truppen von den Golanhöhen in die Konfliktgebiete abgezogen.

Immer mehr Angehörige der Streitkräfte setzen sich unterdessen in das Nachbarland Türkei ab. Wie aus türkischen Behördenkreisen verlautete, flüchteten seit Dienstag wieder 600 Syrer über die Grenze. Darunter seien auch zwei Brigadegeneräle. Damit bietet die Türkei nun 20 Generälen aus Syrien Zuflucht. Die türkische Regierung, die früher enge Verbindungen zum syrischen Staatschef Baschar al-Assad unterhielt, ist inzwischen ein Kritiker des Machthabers. Mehr als 43.000 Syrer sind nach offiziellen türkischen Angaben in das Land geflüchtet.

Unterdessen erhebt ein desertierter syrischer Offizier schwere Vorwürfe gegen das Assad-Regime. Nach Angaben von Oberst Abdalhamid Zakaria werden Verwundete in syrischen Militärkrankenhäusern totgespritzt. Er habe das als Stabsarzt im Militärkrankenhaus von Aleppo mit eigenen Augen gesehen, sagte Zakaria in einem Interview des Hamburger Magazins „Stern“. „In einer Nachtschicht sah ich fünf, die umgebracht wurden.“ Ähnlich äußerten sich in der Vergangenheit viele Verletzte, die fliehen konnten. Sie seien nicht ins Krankenhaus gegangen, weil dort Verhaftung oder Tod drohe, sagten sie.

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Sein Spezialgebiet sei Augenheilkunde, berichtete Zakaria. Er habe oft verletzte Demonstranten wegen Hornhautablösung behandelt, das sei keine komplizierte Verletzung. „Aber wenn ich am nächsten Tag nach ihnen sehen wollte, hieß es: über Nacht verstorben.“ Auch verletzte Soldaten und Mitglieder der regimetreuen Schabiha-Miliz seien im Militärhospital getötet worden, sagte der Oberst. Das sei mit Kalzium-Injektionen geschehen, die einen Herzstillstand auslösten. Oder mit einer Überdosen Insulin, die zu einem sogenannten hypoglykämischen Koma und schließlich zum Tod führten.

Die Kämpfer seien ermordet worden, um zu verhindern, dass sie von Kriegsgräueln berichten, und um Geld für teure Behandlungen zu sparen, so der Militärarzt. Täter seien regimetreue Pfleger und Krankenschwestern gewesen. Aus Todesangst habe das Krankenhauspersonal nicht gewagt, Widerstand zu leisten. Oberst Zakaria hatte im Juni bekanntgegeben, dass er zusammen mit seinen Brüdern in die Türkei desertierte. Seine Frau und seine Kinder sind demnach ebenfalls in der Türkei.

Die diplomatischen Bemühungen des UN-Gesandten Kofi Annan um eine einheitliche Position gegenüber der syrischen Regierung haben in Moskau am Dienstag erwartungsgemäß keinen Durchbruch gebracht. Er hoffe, dass die Diskussionen fortgesetzt würden und dass eine gemeinsame Sprache gefunden werde, um in dieser kritischen Angelegenheit voranzukommen, sagte Annan nach seinem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Russland lehnt einen Resolutionsentwurf des Westens im UN-Sicherheitsrat zur Ausweitung des Beobachtereinsatzes ab, der die Drohung von Sanktionen beinhaltet. Ein russischer Entwurf sieht keine Strafmaßnahmen vor. Russland und China haben mit ihrem Veto im Sicherheitsrat schon mehrere Resolutionen gegen Syrien verhindert. Eine Abstimmung über eine Syrien-Resolution ist für Mittwoch vorgesehen.

Mit Material von dpa/dapd/rtr