“Damaskus wird zuletzt fallen“, hatten die Oppositionellen schon vor Monaten gedroht. Nun erfasst die Gewalt gleich mehrere Viertel der Hauptstadt. Wie lange kann sich Präsident Assad noch halten?

Damaskus/Kairo. Nach monatelangen Kämpfen zwischen der syrischen Armee und bewaffneten Regimegegnern hat die Gewalt auch die Hauptstadt Damaskus erreicht. Aktivisten zufolge fielen am Montag in mehreren Vierteln Schüsse. Deserteure und andere Kämpfer der Opposition zeigten sich auf den Straßen. Regimegegner meldeten Gefechte aus den Vierteln Al-Tadhamun, Al-Midan und Al-Sahira. Ihre Angaben waren zum Teil nicht zu überprüfen.

+++ UN-Beobachter in Tremseh – Erdogan spricht von "Völkermord" +++

+++ Aktivisten: Über 200 Tote bei Massaker in Syrien +++

Aktivisten veröffentlichten in der Nacht ein Video, das ein Gebiet zwischen den Stadtteilen Kafr Susa und Al-Messe zeigt, in dem Schüsse zu hören sind. „Die Stimmung hat sich sehr verändert“, sagte ein Bewohner der Hauptstadt. Berichte von Entführungen machten die Runde.

Die oppositionelle Muslimbruderschaft erklärte, die Kämpfe hätten bereits mehrere Viertel in der Innenstadt erreicht. Die Islamisten werteten dies als Zeichen dafür, dass der Sturz des Regimes von Präsident Baschar al-Assad bevorstehe. Sie riefen die Bewohner von Damaskus auf, Straßen zu blockieren und Brandbomben auf Fahrzeuge der Sicherheitskräfte zu werfen.

Die meisten der insgesamt 22 Toten, die von den Regimegegnern gezählt wurden, starben jedoch ihren Angaben zufolge in den Protesthochburgen Hama, Idlib, Homs und Aleppo. Im Umland von Aleppo seien vier Kämpfer der „Revolutionäre“ getötet worden, meldete die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter.

Die Kritik an dem vor Monaten ausgehandelten Friedensplan des Sondergesandten Kofi Annan wächst. Der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) erklärte, er wolle mit der Abmachung nichts mehr zu tun haben. In einem Brief des SNC-Vorsitzenden Abdelbasit Seida an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon heißt es: „Die Initiative und der Plan von Herrn Annan waren eine Totgeburt, weil sich das Regime unnachgiebig zeigte und seine Massaker fortsetzte, aber auch wegen der unrealistischen und inakzeptablen Vorschläge Annans.“ Der SNC ist das wichtigste Bündnis der syrischen Opposition im Exil. Ihm gehören auch die Muslimbrüder an.

Das syrische Staatsfernsehen strahlte in der Nacht „Geständnisse“ von jungen „Terroristen“ aus, die an dem Blutbad in dem Dorf Tremseh am vergangen Donnerstag beteiligt gewesen sein sollen. Allerdings wirkten die angeblich geständigen Männer, als seien sie zuvor schwer misshandelt worden.

Marokko wies unterdessen den syrischen Botschafter aus. Die syrische Erklärung erklärte im Gegenzug laut einer Meldung der Staatsagentur Sana den marokkanischen Botschafter in Damaskus, Mohammed al-Achsasi, zur unerwünschten Person.

Keine Bestätigung gab es dagegen für Berichte, wonach sich ein Verwandter von Generalmajor Rostum Ghasale mit seiner Familie nach Jordanien abgesetzt haben soll. Ghasale soll in den ersten Monaten des inzwischen schon seit 16 Monaten andauernden Aufstandes gegen das Assad-Regime an der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste beteiligt gewesen sein. Vielen Libanesen ist der Chef des Militärgeheimdienstes noch in schlechter Erinnerung, weil er früher als Assads Statthalter in Beirut galt.

Moskau sieht sich erpresst - Syrienfrage spaltet UN-Vetomächte

Es wirkt wie einst im Kalten Krieg: Nahezu unversöhnlich sitzen sich West und Ost im Weltsicherheitsrat gegenüber. Wie ist der blutige Syrienkonflikt zu lösen? Während das Töten weitergeht, finden die UN-Vetomächte in dieser entscheidenden Frage nicht zueinander. Mehr noch: Der Ton zwischen Russland und China auf der einen Seite und dem Westen auf der anderen verschärft sich. Und auch bei seinem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin an diesem Dienstag wird der UN-Sondergesandte Kofi Annan wohl nicht vorankommen. Das Votum über die neuesten Resolutionsentwürfe im Weltsicherheitsrat in dieser Woche droht zur Farce zu werden.

Nach außen hin zeigt sich Russlands Außenminister Sergej Lawrow gewohnt stoisch – kurz vor seinem Treffen mit Annan am Montag, der ihm ein Zugeständnis entlocken will, gerne auch nur ein Zeichen. Doch Moskaus Chefdiplomat gibt sich überhaupt nicht diplomatisch, sondern haut richtig auf den Putz: Der Westen erpresse Russland und provoziere einen Bürgerkrieg in Syrien. Es ist eine volle Breitseite auf die „westlichen Partner“ – und ein Affront gegen Annan. Der frühere UN-Generalsekretär könne sein Flugzeug gleich wieder umkehren lassen, spotten Beobachter nach Lawrows Tirade.

Dabei will sich Russland als „ehrlicher Makler“ präsentieren. Erst vor kurzem empfing Lawrow mehrere syrische Oppositionelle, dann verkündete Moskau überraschend den Verzicht auf Waffenlieferungen an das Regime in Damaskus. Russland sei vermutlich das einzige Land, das mit allen Seiten Gespräche führe, lobte sich Lawrow selbst. Auch das ist ein Vorwurf gen Westen, der alle Brücken zur Führung um Präsident Baschar al-Assad abgebrochen hat und den Staatschef mit Sanktionen, zur Not auch mit militärischen Mitteln, aus dem Amt treiben will.

Das syrische Volk müsse über Assads Schicksal selbst entscheiden, wird Lawrow nicht müde zu wiederholen. Der wichtige Zusatz: Der Präsident habe noch immer die Mehrheit im Land hinter sich. So schnell lässt Moskau seinen langjährigen Partner also nicht fallen.

Denn die Außenwirkung wäre verheerend: Russland drohe ein immenser Ansehensverlust in seinem „Hinterhof“ in Zentralasien, falls es den Sturz eines weiteren Herrschers hinnehme, sagt der Politologe Grigori Trofimtschuk. Schon jetzt mucken einige autoritär geführte Ex-Sowjetrepubliken gegen den Führungsanspruch des großen Nachbarn auf. Und auch den Zehntausenden Kremlgegnern, die in Moskau gegen ihn auf die Straße gingen, will Putin keine Schwäche zeigen.

Unterstützung erhält Russland von einer anderen UN-Vetomacht: Auch China bewegt sich keinen Zentimeter. Gebetsmühlenartig erneuert Peking seine Appelle an alle Seiten, die Gewalt einzustellen. „China lehnt eine Einmischung von außen in innere Angelegenheiten ab“, sagt Li Guofu, Direktor des Nahost-Zentrums am Institut für internationale Studien in Peking, der Nachrichtenagentur dpa. „Es ist eine grundsätzliche Haltung.“ Auch der Sprecher des Außenministeriums, Liu Weimin, plädierte am Montag weiter für politische Mittel zur Lösung des Konflikts.

Aber die Geduld der Weltgemeinschaft mit dem Regime in Syrien und auch das Verständnis für die Blockadehaltung Chinas und Russlands schwindet. Das wird UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bei einem Besuch in Peking am Dienstag und Mittwoch offen ansprechen. China und Russland haben schon zweimal mit ihrem Veto ein härteres Vorgehen des UN-Sicherheitsrates verhindert.

China hat weniger Interessen in Syrien als Russland, aber die Achse Peking-Moskau spielt für die chinesische Führung eine wichtige Rolle. China und Russland sind strategische Partner, die sich in ihren diversen Konflikten mit dem Westen gegenseitig unterstützen. „Chinas Haltung wird von der Position Russlands abhängen“, sagt Cheng Xiaohe, Professor für internationale Beziehungen an der Volksuniversität (Renmin Daxue) in Peking.

„Selbst wenn sich Peking etwas bewegt, wird diese Lockerung einer veränderten Haltung Moskaus folgen“, sagt der Experte. „Es ist unmöglich, dass China sich gegen Russland stellt.“ (dpa)