In den Straßen von Damaskus wird gekämpft – die Gewalt erfasst gleich mehrere Viertel. Die Hauptstadt galt bislang als Bastion für Präsident Assad.

Damaskus/Moskau. Die Gewalt in Syrien erfasst jetzt auch die Hauptstadt Damaskus. Die oppositionelle Muslimbruderschaft berichtete von Gefechten in mehreren Vierteln der Innenstadt und wertete das als Zeichen für den baldigen Sturz von Präsident Baschar al-Assad. Auch am Abend gingen die Gefechte weiter. Vor der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates über eine Verlängerung der Beobachtermission äußerte Russland schwere Vorwürfe gegen den Westen.

Mit dem Beharren auf Sanktionen provoziere der Westen einen Bürgerkrieg in dem arabischen Land, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau vor einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten Kofi Annan. Den Preis dafür zahle das syrische Volk. Die Politiker wollten insbesondere über die Bedingungen für eine mögliche Verlängerung der UN-Beobachtermission sprechen, die am Freitag ausläuft.

Lawrow warf dem Westen Erpressung vor, weil die Partner im Sicherheitsrat die Fortsetzung der Mission von einem Einlenken Moskaus im Streit um Sanktionen abhängig machten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon soll am Dienstag die chinesische Führung in Peking treffen. Die UN-Vetomächte Russland und China haben im UN-Sicherheitsrat bereits zweimal ein härteres Vorgehen gegen Damaskus verhindert.

Dort meldeten Regimegegner Gefechte aus den Vierteln Al-Tadhamun, Al-Midan und Al-Sahira. Aktivisten veröffentlichten in der Nacht ein Video, das ein Gebiet zwischen den Stadtteilen Kafr Susa und Al-Messe zeigen soll, in dem Schüsse zu hören sind. „Die Stimmung hat sich sehr verändert“, sagte ein Bewohner der Hauptstadt. Berichte von Entführungen machten die Runde. Die Muslimbrüder riefen die Bewohner von Damaskus auf, Straßen zu blockieren und Brandbomben auf Fahrzeuge der Sicherheitskräfte zu werfen.

Augenzeugen berichteten, immer mehr Militär werde im Zentrum der Hauptstadt zusammengezogen. In stadtnahen Gebieten herrsche offenbar Krieg, sagte Aktivist Haytham al-Abdallah aus Damaskus der dpa. Ein anderer Aktivist berichtete, viele Einwohner seien aus der Hauptstadt aufs Land geflohen. Auch aus den Provinzen Hama und Aleppo meldeten Regimegegner heftige Gefechte.

Unterdessen sollen fünf Angehörige des berüchtigten syrischen Geheimdienstchefs Rostum Ghasale nach Jordanien geflüchtet sein. Das verlautete am Montag aus jordanischen Sicherheitskreisen an der Grenze zu Syrien. Ghasale selbst bestritt das. Er gehört seit Jahren zu den mächtigsten Figuren im syrischen Sicherheitsapparat.

Vertreter internationaler Hilfsorganisationen beklagten bei einem Treffen am UN-Sitz in Genf unhaltbare Zustände in Syrien. Die Nothilfe für Hunderttausende Menschen werde durch das Ausbleiben zugesagter Hilfsgelder, schwere Sicherheitsprobleme und Behinderungen durch syrische Behörden massiv erschwert. Geberstaaten hätten bislang nur 21 Prozent der erbetenen 180 Millionen Dollar (147 Millionen Euro) für humanitäre Hilfe in Syrien bereitgestellt, sagte Abteilungsdirektor John Ging vom UN-Büro für Nothilfekoordinierung.

China sieht den blutigen Konflikt in Syrien an einem Scheideweg. „Es gibt jetzt eine kritische Phase zur Lösung des Syrien-Problems mit politischen Mitteln“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag vor dem Besuch des UN-Generalsekretär. China appelliere an alle Beteiligten, die Gewalt zu stoppen, Zivilisten zu beschützen und den Plan von UN-Vermittler Annan umzusetzen.

Das führende Bündnis der syrischen Opposition im Exil, der Syrische Nationalrat (SNC), erklärte, er wolle mit dem vor Monaten ausgehandelten Friedensplan von Kofi Annan nichts mehr zu tun haben. In einem Brief des SNC-Vorsitzenden Abdelbasit Seida an den UN-Generalsekretär heißt es: „Die Initiative und der Plan von Herrn Annan waren eine Totgeburt, weil sich das Regime unnachgiebig zeigte und seine Massaker fortsetzte, aber auch wegen der unrealistischen und inakzeptablen Vorschläge Annans.“

Nach Einschätzung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) hat sich der Bürgerkrieg in Syrien zwar ausgeweitet. „Das heißt aber nicht, dass wir nun sagen, das ganze Land sei inzwischen vom Bürgerkrieg erfasst“, sagte IKRK-Sprecher Alexis Heeb der Nachrichtenagentur dpa. Es werde inzwischen an mehr Orten gekämpft als noch vor einigen Wochen. Derweil wächst die Zahl der Hilfebedürftigen immer stärker: Das Welternährungsprogramm der UN geht mittlerweile davon aus, dass rund 850 000 Syrer auf Nahrungsmittelbeihilfen angewiesen sind – über eine Viertel Million mehr als noch im Frühjahr.

Völkerrechtlich betrachtet gilt ein Bürgerkrieg nicht als Krieg im ursprünglichen Sinn, sondern als innere Angelegenheit eines Staates. Artikel 3 der Genfer Konventionen von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977 stellen aber Minimalanforderungen an die Beteiligten – wie etwa das Verbot von Folter. (abendblatt.de/dpa)