Europas neues Trio ist sich uneins: Merkel will immer noch keine gemeinsamen Anleihen. Sarkozy aber schon. Und Italiens neuer Regierungschef Monti kann sie sich auch vorstellen

Straßburg. Wenn der Zustand der Flugbereitschaft der Bundesregierung ein Indiz für die derzeitige Verfassung der größten europäischen Volkswirtschaft ist, muss man sich um Deutschland ernsthafte Sorgen machen. Zum wiederholten Male in den letzten Monaten bockte gestern ein Regierungsflugzeug. Angela Merkel musste kurzfristig umdisponieren und reiste mit einem Ersatzflugzeug aus Berlin zum Dreiertreffen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und dem neuen italienischen Regierungschef Mario Monti nach Straßburg. Und dann war auf der Fahrt auch noch die Standarte mit dem Bundesadler vom Kotflügel des Citroën abgefallen.

Von solch kleineren protokollarischen Pannen abgesehen, verlief die Begegnung des in dieser Form erstmals zusammengekommenen Straßburger Dreiecks jedoch anscheinend harmonisch. Nach einem anderthalbstündigen Arbeitsmittagessen verkündete Gastgeber Nicolas Sarkozy, die drei "größten europäischen Volkswirtschaften seien fest entschlossen, alles zu tun, um den Euro zu stützen". Man sei sich "des Ernstes der Lage bewusst", sagte Sarkozy und kündigte an, Frankreich und Deutschland wollten "in den nächsten Tagen" Vorschläge zu Änderungen an den europäischen Verträgen unterbreiten, die auf eine stärkere "Konvergenz in der Finanz- und Wirtschaftspolitik" zielten. Italien habe man bei dieser Gelegenheit eingeladen, an den gemeinsamen Vorschlägen mitzuarbeiten. Im Kern geht es bei diesen Vertragsänderungen um eine zügige Herbeiführung einer "Fiskalunion" der Länder der Euro-Zone, eine Verschärfung des Stabilitätspaktes und wieder einmal um die Möglichkeit der Einführung mehr oder minder automatischer Sanktionen im Fall von Verstößen gegen den Pakt. Die Diskussion um eine erweiterte Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) und die Möglichkeit der Einführung von gemeinsamen europäischen Anleihen, die neuerdings nicht mehr Euro-Bonds, sondern auf Wunsch von Kommissionspräsident José Barroso lieber "Stabilitätsbonds" heißen sollen, wurde bei dem kurzen Treffen vorerst nicht vertieft.

Sarkozy unterstrich die Unabhängigkeit der EZB mit der Formulierung, alle drei Staatschefs vertrauten der Führung der Zentralbank und man stelle weder "positive noch negative Forderungen" an die EZB. Die Bundeskanzlerin schloss sich dem französischen Präsidenten an, die Frage der Vertragsänderungen beträfe nicht die EZB. Man beschäftige sich mit der Fiskalunion, das sei "ein ganz anderes Kapitel", in dem es um die "politische Vertiefung" der Euro-Zone gehe. Der Einführung gemeinsamer europäischer Anleihen erteilte die Bundeskanzlerin erneut eine Absage. Euro-Bonds solle es auch nicht etwa als Gegenleistung für ein Entgegenkommen der europäischen Partner in den Diskussionen um Vertragsänderungen geben. Die Fiskalunion sei ein nun notwendiger Schritt, aber "nicht die Voraussetzung, dass ich meine Haltung ändern werde", sagte die Kanzlerin. Es ginge in erster Linie um eine Schärfung des Stabilitätspaktes, bei dem es in der Vergangenheit "60 Verletzungen" gegeben habe, "auch von Deutschland.

Nicolas Sarkozy verbarg seine Ungeduld über die hartnäckige deutsche Weigerung, sich auf die Einführung von Euro-Bonds einzulassen, hinter einer rhetorischen Verständniswolke: Deutschland und Frankreich hätten nun einmal zwei verschiedene Traditionen und Kulturen, man versuche Tag für Tag einen Weg zu finden, den Euro zu stabilisieren. "Glauben Sie, das läuft so, dass wir uns anrufen, und dann sagt jeder "einverstanden" und der andere sagt auch "einverstanden" - und dann hängen wir wieder ein?", fragte der Präsident und beschrieb so das mühsame Ringen um europäische Kompromisse so, dass auch die Bundeskanzlerin lachen musste.

Im Klartext bedeutet das, dass Frankreich auch weiterhin alles daransetzen wird, Deutschland davon zu überzeugen, dass die EZB mitten in der Krise mehr sein müsse als ein Anti-Inflationsbollwerk. Auch der italienische Regierungschef ließ anklingen, dass er einer Diskussion über Euro-Bonds aufgeschlossen gegenübersteht. Monti plädierte für die Erörterung von "Möglichkeiten, die weniger dramatisch daherkommen", und meint damit offenbar Vorschläge wie jene Barrosos. "Stabilitätsbonds können einen Beitrag leisten", Stabilität für die Euro-Zone zu erreichen, glaubt Monti, betonte jedoch, zunächst müssten alle Euro-Länder "ihre Hausaufgaben machen" und auf die Fiskalunion hinarbeiten. Monti stellte Merkel und Sarkozy während des Treffens jene umfassenden Strukturreformen vor, mit denen Italien 2013 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen will. Merkel und Sarkozy lobten die italienischen Anstrengungen als notwendigen Beitrag, verloren gegangenes Vertrauen in Europa wieder herzustellen, und sagten zu, einer Einladung Montis nach Rom bald folgen zu wollen.

Die Neugründung eines europäischen Triumvirats dürfte indes in der Kommission auf geringe Begeisterung stoßen. Dass Barroso zu dem Treffen des Straßburger Dreiecks nicht eingeladen war, wird in Brüssel als ein Symptom dafür gewertet, wie Merkel und er derzeit darum ringen, wer das Heft in der Hand hält. Barroso war am Mittwoch in Vorlage gegangen. Was er präsentierte, waren nicht nur die in Berlin ungeliebten Euro-Bonds. Viel brisanter sind die beiden konkreten Gesetzesvorschläge, die die Kommission präsentierte: Sie würden ihr ermöglichen, tief in das Budgetrecht der Mitgliedsländer einzugreifen. Die Kommission dürfte noch vor den nationalen Parlamenten die Haushaltsentwürfe der Regierungen prüfen, dürfte Änderungen verlangen und Staaten in Not zwangsweise unter den Rettungsschirm schicken. In Kürze bedeutet das: Die Kommission setzt sich selbst an die Spitze einer neuen europäischen Wirtschaftsregierung.