Experten verweisen auf das Beispiel Irak. Weltgemeinschaft zögert bei Libyen. Briten und Franzosen wollen diese Zone rasch einrichten.

Hamburg. Intensive Verhandlungen zwischen dem britischen Premierminister David Cameron und US-Präsident Barack Obama, Parteienstreit in Deutschland: Das Thema Flugverbotszone über Libyen ist in Washington, bei der Nato in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten ganz oben auf der außenpolitischen Agenda.

Briten und Franzosen wollen diese Zone rasch einrichten, um die libysche Luftwaffe daran zu hindern, weiter auf rebellische Zivilisten zu feuern. Amerikaner und Deutsche zögern. Und das hat seinen guten Grund: Die Einrichtung einer solchen Flugverbotszone ist mit zahlreichen Problemen und Risiken verbunden. Zudem ist der Nutzen umstritten. In einer Analyse des privaten amerikanischen Geheimdienstes Stratfor, der "Schatten-CIA", wird darauf verwiesen, dass zunächst einmal Gaddafis Luftabwehr ausgeschaltet werden müsse. Da einige von diesen Waffen inzwischen aber in Händen der Rebellen sind, ist allein die Identifizierung der Ziele ein Problem. Das Regime in Tripolis könnte auch, wie in anderen Konflikten oft geschehen, Geschütze oder Raketenstellungen dicht an Schulen und Krankenhäusern aufstellen.

Westliche Luftwaffen müssten dann entweder von Angriffen Abstand nehmen oder zivile Todesopfer als "Kollateralschäden" in Kauf nehmen. Eine größere Zahl an zivilen Opfern würde das westliche Engagement jedoch in der arabischen Welt rasch in Verruf bringen. Vor allem das Gaddafi-Regime sowie radikalislamische Kräfte würden davon profitieren. Gaddafi faselt bereits unter Hinweis auf die Revolte von einer "amerikanischen Verschwörung". Niemand weiß genau, wie leistungsfähig die libysche Luftabwehr mit ihren älteren russischen Raketen derzeit ist; man muss aber wohl davon ausgehen, dass es Verluste auch auf westlicher Seite geben könnte.

Es wäre ferner notwendig, über einen längeren Zeitraum hinweg Überwachungsflugzeuge im libyschen Luftraum zu stationieren - darunter solche, die mit speziellen Raketen gegen die Radaranlagen libyscher Luftabwehrstellungen ausgerüstet sind.

Die Operationen von Kampfflugzeugen der Nato und der USA würden zwar Libyens Jets aus der Rechnung nehmen, nicht aber die Hubschrauber, wie der Kommandeur des US-Marinekorps, General James F. Amos, vor einem Senatsausschuss sagte. "Hubschrauber sind die größte Bedrohung für die Aufständischen." Denn sie fliegen so bodennah und langsam, dass sie von den schnellen, in größerer Höhe operierenden Kampfjets schwer entdeckt werden würden. Gaddafi kann seine Hubschrauber sowohl zum Truppentransport als auch zur Kampfunterstützung seiner Bodentruppen einsetzen. Und wie sich bei der Anhörung im Senat herausstellte, wissen die USA gar nicht genau, wie viele Helikopter Gaddafi zur Verfügung hat. Grundsätzlich stellt sich die Frage nach dem militärischen Nutzen einer Flugverbotszone. Stratfor verweist auf den Umstand, dass zwölf Jahre lang ein solches Flugverbot über dem Irak in Kraft gewesen sei - ohne dass es Diktator Saddam Hussein zu einer Änderung seiner Politik gezwungen hätte. Diese Zone sei nur "die politische Illusion" gewesen, dass man etwas unternehme. Das Gleiche sei auch für Libyen anzunehmen; Gaddafis Truppen sind den Aufständischen auch am Boden weit überlegen. Blutige Gemetzel könnte es auch ohne die Luftwaffe geben. Schon jetzt sind weit mehr als 200 000 Menschen, Gastarbeiter vor allem, vor der Gewalt geflohen.

Nur eine Intervention mit Bodentruppen würde Gaddafis Herrschaft beenden können. Doch einen dritten Krieg in einem islamischen Land können und wollen sich die USA nicht leisten. Hinzu kommt, dass die Führung in Washington sich noch nicht darüber im Klaren ist, wem sie mit dem Militäreinsatz eigentlich helfen würde - die Aufständischen sind ihren politischen Zielen nach eine unbekannte Größe.

Im Fall einer Bodeninvasion müsste auch in Libyen eine erhebliche Besatzungsstreitmacht über Jahre im Lande bleiben - für die US-Regierung, die verzweifelt überlegt, wie sie schnell und heil aus dem Afghanistan-Einsatz herauskommt, eine albtraumhafte Vorstellung. Stratfors Fazit: Eine Flugverbotszone könnte zwar schnell wieder zurückgezogen werden, hätte aber keinen wesentlichen Einfluss auf die Vorgänge am Boden. Eine Invasion würde zwar einen Regimewechsel in Tripolis bewirken, könnte aber einen jahrelangen Einsatz mit unwägbaren politischen Konsequenzen nach sich ziehen.