Gauck sagt Staatsbesuch wegen skandalöser Behandlung Julia Timoschenkos in der Ukraine ab. Allerdings sollte der Westen in seinen Reaktionen auch aufpassen.

Joachim Gauck hat nicht lange gezögert und mit einem präsidialen Paukenschlag die in ihn gesetzten politischen Erwartungen bereits erfüllt. Der Entschluss des Bundespräsidenten, wegen der skandalösen Behandlung der früheren ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ein geplantes Treffen von Staatschefs in Jalta zu boykottieren, ist nach diplomatischen Maßstäben schon eine dramatische Geste. Und sie ist richtig.

Dem Regime des Kiewer Autokraten Viktor Janukowitsch muss das klare Signal übermittelt werden, dass Deutschland sein Betragen nicht länger einfach hinnimmt. Joachim Gauck dürfte angesichts von Timoschenkos Schicksal an seinen Vater gedacht haben, der 1951 von einem sowjetischen Militärtribunal unter denkbar fadenscheinigen Anschuldigungen zu 50 Jahren sibirischem Arbeitslager verurteilt worden war.

Der Westen muss allerdings aufpassen, dass er Julia Timoschenko nicht voreilig zur Märtyrerin hochstilisiert. Eine moralische Lichtgestalt ist die zweimalige Regierungschefin gewiss nicht. Ihr kometenhafter Aufstieg von einer kleinen Videoverleiherin zur mächtigen "Gasprinzessin" mit einem Privatvermögen in geschätzter Höhe von mehreren Hundert Millionen Dollar ist selbst für postsowjetische Verhältnisse bemerkenswert. Es ist fraglich, ob wirklich sämtliche Vorwürfe gegen sie wegen Bestechung, Amtsmissbrauchs oder Veruntreuung völlig aus der Luft gegriffen sind.

Doch die Art und Weise, wie Präsident Janukowitsch mit Timoschenko umspringen lässt, deutet darauf hin, dass er sich seiner ärgsten Rivalin entledigen will, indem er sie mit immer neuen Strafverfahren überzieht. Offenbar ist die Judikative in der Ukraine ein willfähriges Machtinstrument in der Hand des Präsidenten.

+++ Drama um Timoschenko isoliert die Ukraine zunehmend +++

Die Anordnung, die schwer kranke Frau von Bütteln unter Anwendung körperlicher Gewalt gegen ihren Willen in ein staatliches Hospital verlegen zu lassen und ihr selbst einen Rollator zu verweigern, macht sein Regime zum Paria in Europa. Der stark Moskau zuneigende Janukowitsch, übrigens in seiner Jugend wegen Diebstahls und Körperverletzung zweimal in Haft, fürchtet die westlich orientierte Timoschenko. Seine eigene Popularität ist ebenso im freien Fall wie die ukrainische Wirtschaft; die Korruption wuchert wild - und im Oktober sind Parlamentswahlen.

Forderungen, nun auch gleich die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine zu boykottieren, sind dagegen wenig hilfreich. Sportliche Wettbewerbe stehen auf einem anderen Blatt als Staatsbesuche. Und die beunruhigende Entwicklung in der Ukraine war bei der Vergabe der EM so noch gar nicht absehbar. Allerdings sollten sich die Organisatoren derartiger Veranstaltungen schon fragen, ob man Turniere von vornherein und bewusst an Diktaturen geben soll. Ein Formel-1-Rennen ausgerechnet im Königreich Bahrain austragen zu lassen, dessen Herrscher die Demokratiebewegung mithilfe saudischer Truppen blutig niederschlagen ließ, hatte wohl vor allem finanzielle Hintergründe.

Falls anreisende Politiker derartige Events allerdings vor Ort zu deutlicher Kritik und unüberhörbaren Demokratiebekenntnissen nutzen, kann es sogar von großem politischen Gewinn sein, daran teilzunehmen. Denn diese Art von Aufmerksamkeit scheuen Despoten und Autokraten.

In dieser Hinsicht könnte es äußerst interessant werden, wenn der Bundespräsident und einstige Bürgerrechtler Joachim Gauck im Sommer zur EM nach Kiew fahren würde.