Frau ermordet: Die Lage der 700 Geiseln im Moskauer Musical-Haus spitzt sich dramatisch zu. Die Tschetschenen sind bereit, als Märtyrer zu sterben.

Moskau. Die Welt schaut mit Angst auf das Moskauer Geiseldrama: Einen Tag nach der Erstürmung eines voll besetzten Theaters in Moskau der russischen Hauptstadt demonstrierten die tschetschenischen Besetzer gestern mit der Erschießung einer Frau ihre Entschlossenheit, zur Durchsetzung ihrer Forderungen auch ein Blutbad in Kauf zu nehmen. "Jeder von uns ist bereit, sich selbst für die Unabhängigkeit von Tschetschenien zu opfern", erklärte eine Geiselnehmerin in einem Interview des arabischen Fernsehsenders Al Dschasira. In dem Videofilm traten nacheinander ein Mann und fünf tief verschleierte Frauen auf. Sie erklärten sich zu Märtyrern. Für die Freilassung ihrer rund 700 Gefangenen fordern die Rebellen den Abzug der russischen Truppen aus der Kaukasus-Republik. Der russische Fernsehsender NTV zeigte, wie die Leiche der erschossenen zwischen 20 und 30 Jahre alten Frau auf einer Bahre aus dem Theatergebäude gebracht wurde. Präsident Wladimir Putin sagte wegen der kritischen Lage alle Auslandsreisen ab, daunter auch das in Mexiko geplante Treffen mit US-Präsident George W. Bush. Putin brachte die Geiselnahme mit dem Anschlag auf Bali aus der vergangenen Woche in Zusammenhang. In der Nähe des Theaters stand am Abend ein gepanzerter Truppentransporter, außerdem waren mehrere Transporter mit schwer bewaffneten Truppen des Innenministeriums aufgezogen. Die USA, Großbritannien und Deutschland haben Hilfe bei der Lösung des Geiseldramas zugesagt. London entsandte eine Gruppe von Anti-Terror-Experten nach Moskau. Am Mittwochabend hatten etwa 150 Personen das Gebäude verlassen dürfen, darunter bis zu 20 Kinder und Moslems. Gestern erklärten die Tschetschenen, es werde keine weiteren Freilassungen geben. Aus dem Theater berichtete die Kinder-Herzspezialistin Maria Scholnikowa gestern per Handy, die Extremisten hätten im gesamten Innenraum Sprengstoff angebracht, auch an den Körpern einiger Geiseln. Ein Sprecher des russischen Sicherheitsdienstes sagte, die Lage verschärfe sich immer mehr. Es gebe Kranke, etwa Diabetiker, deren Gesundheit bedroht sei. Unter den noch rund 700 Gefangenen befinden sich nach Angaben des russischen Sicherheitsdienstes 75 Ausländer, darunter sieben Deutsche. Es handelt sich um Frauen aus Niedersachsen und Bayern sowie einen Mann aus Baden-Württemberg. Eine Frau soll aus Diepholz kommen. Dies wurde gestern Abend von der Polizei allerdings nicht bestätigt. In dem Moskauer Theater wurde am Mittwochabend das populäre Musical "Nord-Ost" aufgeführt. Die Rebellen stürmten das Gebäude zu Beginn des zweiten Aktes und erklärten Zuschauer, Darsteller und Bühnenmitarbeiter zu Gefangenen. Beim Anführer des Kommandos soll es sich um Mowsar Barajew handeln, einen Neffen des 2001 getöteten Rebellenführers Arbi Barajew. Der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat vorgeschlagen, den Moskauer Terroristen im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln freies Geleit beim Verlassen der russischen Hauptstadt zu gewähren. Zuvor hatte sich der Präsident des russischen Senats, Sergej Mironow, für die Ausreise des tschetschenischen Kidnapperkommandos in ein Drittland ausgesprochen, sollten sie ihre Geiseln freilassen. Mironow gilt als Vertrauter Putins.