“Shock and awe“ - Durch Schock und Einschüchterung soll die irakische Armee zur Kapitulation gezwungen werden

Hamburg. Durch "shock and awe" (Schock und Einschüchterung) wollen die US-Militärs die irakische Armee demoralisieren und zur Kapitulation zwingen. Die wuchtigen Detonationen und die erschreckend präzise Zerstörung von strategisch bedeutenden Zielen inmitten des Häusermeeres von Bagdad, wo sich die Armee Saddams sicher wähnte, soll deren Widerstandskraft brechen. Es ist vom US-Generalstab vorgesehen, insgesamt 3500 präzisionsgesteuerte Bomben und Marschflugkörper auf militärische Objekte sowie Paläste des Diktators Saddam Hussein abzufeuern - also das Zehnfache dessen, was die US-Streitkräfte zu Beginn des ersten Golfkrieges 1991 verschossen. Dem Schock und der Einschüchterung gesellt sich für die irakischen Verteidiger noch der Faktor Frustration hinzu. Die gestrigen Angriffswellen wurden von "Tomahawk"-Marschflugkörpern und lasergelenkten Bomben aus Tarnkappenflugzeugen, vermutlich des Typs F-117, geflogen. Mit ihren veralteten Flugabwehrgeschützen, die hilflos lange Reihen von Leuchtspurgeschossen in den Himmel über Bagdad ballerten, ist den Angreifern kaum beizukommen. Die Tarnkappenbomber sind auf dem irakischen Radar nicht auszumachen, und die Cruise-Missiles fliegen zum Teil im Konturenflug ihrem computergespeicherten Ziel entgegen. Dabei findet ein ständiger Abgleich der gespeicherten Zieldaten mit dem überflogenen Terrain über GPS-Satelliten statt. Zwar sind Marschflugkörper relativ langsam - nur rund 900 Stundenkilometer -, doch wenn sie in Dachhöhe anfliegen, wie bereits mehrfach im ersten Golfkrieg gesehen, nützt die beste Fliegerabwehr nichts mehr, da keine Zeit zum Reagieren und Feuern bleibt. Auch die präzisen JDAM-Bomben (Joint direct attack munition) finden ihr Ziel mit Hilfe von Satellitennavigation. Unter den im Zusammenhang mit der Strategie "shock and awe" eingesetzten Bomben sind Neuentwicklungen wie ein verstärkter "Bunkerbrecher" mit gigantischen 2000 Pfund Sprengladung. Diese Information lieferte gestern eine amerikanische Pentagon-Reporterin. Bereits herkömmliche Bunkerbrecher ("bunker busters") können bis zu 30 Meter tief in den Erdboden eindringen, bevor sie detonieren und dann bis zu sechs Meter dicke Betondecken zerstören. Diese Waffen werden gezielt gegen Erdbunker der militärischen und zivilen Führung Iraks eingesetzt. Es ist bekannt, dass viele der Dutzenden Paläste von Saddam Hussein mit gehärteten Kommandozentralen und Schutzräumen versehen sind, die mehrere Stockwerke tief in die Erde hinabreichen. Die Amerikaner hoffen, Saddam und seinen Führungskreis mit Bunkerbrechern frühzeitig auszuschalten. Dann werde die führungslose Armee Iraks rasch zusammenbrechen, ist das Kalkül der US-Generale. Der Fachterminus dafür lautet "Enthauptungsstrategie". Eine weitere Waffe, die bei "shock and awe" eingesetzt werden dürfte, sind neuartige E-Bomben, auch Mikrowellenbomben genannt. Ihr gewaltiger Impuls lässt Schaltkreise von Computern schmelzen und setzt elektronische Geräte im wahrsten Sinne des Wortes außer Gefecht - im Umkreis von Hunderten Metern. Kommunikationseinrichtungen werden lahm gelegt, Festplatten sogar gelöscht. Militärische Führer sind dann elektronisch blind und haben keinen Kontakt mehr zu ihren Einheiten. Autos bleiben stehen, Flugzeuge können nicht starten. Mikrowellenbomben sind nach Versicherung der US-Militärs im Gegensatz zu Marschflugkörpern und Sprengbomben ungefährlich für die Zivilbevölkerung - außer für Träger von Herzschrittmachern. Nach dem gestrigen "shock and awe"-Angriff wurde US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei der Pressekonferenz in Washington gefragt, warum er eigentlich glaube, dass die Iraker sich anders verhalten sollten als etwa die Deutschen im Zweiten Weltkrieg, die schwerste Bombardements ihrer Städte moralisch ungebeugt in ihren Kellern überstanden hätten. Rumsfelds etwas lahme Antwort: "Weil die Iraker ein unterdrücktes Volk sind." Nun waren das die Deutschen unter Hitler auch. Die Angriffe von "shock and awe" werden auch viele Zivilisten das Leben kosten, nicht zuletzt, weil die Iraker manche militärischen Stellungen neben zivilen Einrichtungen wie Hospitäler und Moscheen errichtet haben. Dennoch sind sie nicht zu vergleichen mit den wahllosen Flächenbombardements auf Hamburg oder Dresden.