Bodenoffensive: Sandsturm, zwölf Absturzopfer und brennende Ölfelder: Die Nacht, als der Einmarsch in den Irak begann

Südirak. Wochenlang hatten sie in der kuwaitischen Wüste gewartet, trainiert, wieder gewartet. Als am Donnerstagabend gegen 21 Uhr (19 Uhr MEZ) der Befehl zur Invasion kommt, löst sich bei den Soldaten der 1. US-Marineinfanterie-Division die Anspannung. Manche jubeln sogar. Der Vormarsch in den Irak beginnt mit schwerem Feuer von Mörsern und Haubitzen über die Grenze hinweg. Helle Blitze schlagen in den Nachthimmel der südirakischen Wüste. Auf den ersten Kilometern im fremden Land stoßen die 20 000 Marineinfanteristen nur auf vereinzelten Widerstand. Sie beschießen einen irakischen T-55-Panzer mit Maschinengewehren und zerstören ihn dann mit einer mobilen Panzerabwehrrakete. Ein Sandsturm behindert den Vorstoß. Die hinter Sandwällen verborgenen irakischen Panzer werden nur auf Grund der Wärme entdeckt, die sie abstrahlen. US-Kampfflugzeuge greifen die Stellungen aus der Luft an. Die 15. Expeditionseinheit der Marineinfanteristen stößt schon eine Stunde nach Grenzübertritt auf eine Formation von 40 irakischen Soldaten, die den Amerikanern auf der Straße entgegenkommen. Sie ergeben sich. Offiziere befehlen ihnen, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen. Dann werden sie von Soldaten durchsucht. Insgesamt ergeben sich mehr als 200 gegnerische Soldaten den Marineinfanteristen. Auch Truppen der 3. Infanteriedivision sind auf irakisches Territorium vorgestoßen. Ihr Vormarsch beginnt ebenfalls mit einem massiven Beschuss des Landes auf der anderen Seite der Grenze. Zum Einsatz kommen Paladin-Haubitzen und Raketenwerfer. Innerhalb von fünf Minuten schlagen mehr als 100 Granaten auf irakischem Territorium ein. Das Feuer wird nicht erwidert. Es ist so laut, dass pakistanische und indische Landarbeiter aus den Bauernhöfen der Nachbarschaft laufen und protestieren. Erst weit auf irakischem Territorium treffen die Infanterietruppen auf gegnerische Schützenpanzer. Drei davon werden zerstört. Aber es gibt auch erste Pannen. Ein Cobra-Kampfhubschrauber schießt irrtümlich eine Rakete auf einen amerikanischen Panzer des Typs M1 Abrams ab. Ein Soldat wird verletzt. Der zerstörte Panzer bleibt in der Wüste zurück. Ebenfalls unterwegs sind Truppen der 101. Luftlandedivision. Ein langer Konvoi von Panzern und Geländefahrzeugen rollt mit 50 Kilometer in der Stunde in Richtung Grenze. Dort sollen die Soldaten mit Hubschraubern auf irakisches Territorium gebracht werden. Die Männer schützen ihre Gesichter mit Halstüchern gegen den Sand. Selbst die Frontscheinwerfer der Fahrzeuge sind im Sandsturm nur wenige Meter weit zu sehen. Währenddessen trifft ein schwerer Schlag die britischen Invasionstruppen, die den Südteil der Halbinsel Al Faw erobern sollen: Einer ihrer Transporthubschrauber vom Typ CH-46 Sea Knight stürzt ab. Acht Briten und vier Amerikaner kommen um. Die ersten Kontakte zur Bevölkerung werden die Einheiten des 5. US-Korps - dazu gehören die 101. Luftlandedivision und die 3. Infanteriedivision - voraussichtlich erst in der Stadt An Nasirijah haben. 190 Kilometer von der Grenze entfernt, leben dort 400 000 Menschen. Die meisten von ihnen gehören der schiitischen Religionsgemeinschaft an, die sich 1991 gegen Saddam Hussein erhoben hat. Gleichwohl wird erwartet, dass es zu einem Flüchtlingsstrom kommen könnte. Für diese Situation gehören dem 5. Korps rund 300 Soldaten an, die sich um "zivile Angelegenheiten" kümmern sollen. Sie haben Tausende von Notrationen für Flüchtlinge dabei; die gelben Pakete enthalten Nudeln und Bohnen. Die schnelle Kontrolle von Flüchtlingsströmen ist auch von strategischer Bedeutung: Die US-Streitkräfte fürchten, dass diese ihren Vormarsch behindern könnten. Mit der Einnahme des Südens würden die Amerikaner und die ebenfalls vorrückenden Briten den Zugang zum Golf unter ihre Kontrolle bringen und eine wichtige Voraussetzung für das erste strategisch größere Ziel des Krieges erreichen, die Einnahme von Basra, der Hafenstadt im Herzen der Ölförderanlagen. Basra ist die zweitgrößte irakische Stadt und liegt nur 32 Kilometer von der kuwaitischen Grenze entfernt. Auf heftigen Widerstand stoßen die alliierten Truppen erstmals beim Sturm auf die Autobahn Richtung Basra. US-Soldaten laufen mitten in das Granatfeuer irakischer Stellungen. Kurz darauf, beim Sturm auf das Ölfeld Rumeila, wird der erste Marineinfanterist tödlich getroffen. In der Ferne füllt undurchdringlicher Rauch den Himmel; er steigt von brennenden Ölquellen und Förderanlagen, von denen das Öl durch Pipelines über die Halbinsel Al Faw in Richtung Persischer Golf geleitet wird. Iraker haben sie in Brand gesteckt - und damit schon in der ersten Nacht der alliierten Bodenoffensive zu erkennen gegeben, dass sie das Feld nicht räumen wollen, ohne wenigstens beträchtliche Zerstörung zu hinterlassen. (ap)