Auf Konfrontationskurs mit Israel: Die Auseinandersetzung um die Gaza-Hilfsflotte und den Beitrag der Türkei wird immer dramatischer.

Istanbul. Was ist nur in Recep Tayyip Erdogan gefahren? „Null Probleme mit den Nachbarn“ war das erklärte Programm seiner islamisch-konservativen Regierung, und noch vor einem Jahr erschien dies als ein mit politischem Geschick durchaus erreichbares Ziel. Doch inzwischen ist Ankara von Problemen eingekreist. Erdogan reagiert mit Drohgebärden nicht nur gegen Israel. Vom armenischen Präsidenten Sersch Sargsjan verlangte er eine öffentliche Entschuldigung, weil dieser vom „westlichen Armenien“ gesprochen hatte, einem Gebiet, das heute zur Türkei gehört. Noch im vergangenen Jahr stand die Öffnung der gemeinsamen Grenze auf der Tagesordnung.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel muss eigentlich noch um Verzeihung bitten, so forderte es Erdogan, weil sie die griechischen Zyprer gelobt, von der türkischen Seite aber mehr Bewegung im Konflikt um die geteilte Mittelmeerinsel verlangt hatte. Und in Auseinandersetzungen um Ölförderungen der Zyprer im Mittelmeer drohte Europaminister Egemen Bagis vor einigen Tagen, alle Optionen seien auf dem Tisch. „Genau dafür haben wir ja die Marine“, sagte er.

Und nun Israel: Über Jahrzehnte hatte die Türkei mit dem Land engste Beziehungen, vor allem mit dem israelischen Militär und der Rüstungsindustrie, aber auch mit dem israelischen Geheimdienst. Israelische Piloten durften sogar über der Türkei ihre Kampfeinsätze üben. Für die nun ausgerufene Eiszeit macht Ankara die Israelis verantwortlich.

Im September 2007 griffen israelische Jets, über türkisches Gebiet fliegend, eine syrische Anlage an, bei der es sich um eine Baustelle für einen Atomreaktor gehandelt haben soll. Die Israelis verloren über der Türkei einen Tank. Das Beweisstück sorgte in der Türkei für große Empörung, da Israel offensichtlich erlaubte Trainingsflüge für den Militärschlag missbraucht hatte. Eilig reiste der israelische Präsident Schimon Peres an, um Risse zu kitten. Erfolgreich bauchpinselte er die Türkei als „Adler mit zwei Flügeln“.

Doch schon im folgenden Jahr kam es zum Bruch, als sich Erdogan von Israel als Vermittler zu Syrien im Streit um die besetzten Golan-Höhen international bloßgestellt sah. Während Erdogan sein Gewicht für eine Friedenslösung in die Waagschale warf, griff Israel den Gazastreifen an, was jede Verhandlungslösung unmöglich machte.

„Wenn es ums Töten geht, mit dem Töten kennt ihr euch sehr gut aus“, schmetterte Erdogan Peres wenige Wochen später in Davos entgegen. „Freunde können sich manchmal streiten“, sagte Peres später. Doch ist das Tischtuch zerrissen. Insbesondere ist Erdogan nicht mehr bereit, Israel eine politische Sonderrolle zuzugestehen, wie es viele westliche Verbündete machen. Wie ein „verzogener Sohn“, führe sich Israel auf, kritisierte Erdogan dieser Tage.

Ankara suchte die politische Konfrontation mit Israel, machte dabei aber eine Bauchlandung. Zwar kritisierte eine Uno-Kommission Israel nach dem Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte wegen unverhältnismäßiger Anwendung von Gewalt. Die Seeblockade des Palästinensergebietes selbst und Durchsuchungen von Schiffen seien aber rechtmäßig, um mögliche Waffenlieferungen abzufangen. Die Türkei kritisiert, die Kommission habe ihre Kompetenzen weit überschritten.

Für Erdogan kam der Bericht zur Unzeit, denn die Türkei strebt nach mehr Einfluss und will bei den Veränderungen der arabischen Welt eine führende Regionalmacht sein. Doch schon in Libyen erlebte Erdogan, dass Italien und Frankreich voranpreschten, während er noch Telefonkontakte zu Gaddafi pflegte. In Syrien setzte er – womöglich zu lange – auf Reformwillen des brutal um sich schlagenden Regimes. Im Streit um Gaza spielte Israel ihn und seine Regierung nun diplomatisch an die Wand.

Nun dreht Erdogan auf. Auf diplomatische Sanktionen folgend sollen nun türkische Kriegsschiffe die zivile Schifffahrt gegen mögliche weitere israelische Übergriffe schützen. Auf die Konsequenzen geht Erdogan nicht ein, obwohl er damit den Anschein erweckt, notfalls auch zur militärischen Konfrontation bereit zu sein. (dpa)