In Kairo wird der türkische Premier auf seiner Reise durch die Staaten des “Arabischen Frühlings“ für seine antiisraelischen Töne gefeiert.

Kairo/Istanbul. Wie ein Messias wird Recep Tayyip Erdogan am Flughafen von Kairo begrüßt. Tausende sind gekommen, um den türkischen Ministerpräsidenten auf der ersten Etappe seiner viertägigen Reise durch die Staaten des "Arabischen Frühlings" in Ägypten willkommen zu heißen. "Ägypten und die Türkei gehen Hand in Hand", skandiert die Menge und "Erdogan hat keine Angst vor Israel". Der Gast aus Ankara genießt das Bad in der Menge sichtlich, während der ägyptische Ministerpräsident Essam Sharaf, der an diesem Montagabend mit seiner Frau zum Flughafen gekommen ist, um seinen türkischen Amtskollegen in Empfang zu nehmen, mit gesenktem Haupt hinterherläuft und dabei ganz so aussieht, als ob er sich wünschte, nur einmal in seinem Leben so von seinen Landsleuten empfangen zu werden.

Erdogan ist in Ägypten ein Star, seitdem er die Israelis offen herausfordert. "Er ist ein starker, stolzer Mann, mit dem man nicht spielen kann. Er ist ein wahrer Führer, ganz wie es Gamal Abd al-Nasser es einmal war", sagt der ägyptische Journalist Khalifa Gaballa und erklärt damit die Gefühlslage der Ägypter. Auf den Türken projizieren viele Araber ihr neues Selbstbewusstsein seit Beginn des Arabischen Frühlings. Genau um diesen Effekt auszunutzen, ist Erdogan nun zu seinem PR-Feldzug durch die arabische Welt aufgebrochen.

Mit erhobenem Haupt und durchgedrücktem Kreuz betrat der türkische Ministerpräsident dann gestern Mittag den Plenarsaal der Arabischen Liga in Kairo. Die Außenminister der Staatenorganisation hatten ihre Sitzung eigens um zwei Stunden verschoben und begrüßten Erdogan mit tosendem Applaus. Immer wieder betonte er in seiner halbstündigen Rede die engen Beziehungen zwischen der arabischen Welt und der Türkei und erinnerte seine "Brüder", wie er die Außenminister immer wieder nannte, an die Gemeinsamkeiten trotz ihrer unterschiedlichen Sprachen - "die geografische Lage, der tiefe Glaube, die Kultur, Geschichte und die Werte". Die Türkei wolle gemeinsam mit ihren arabischen Brüdern in eine bessere Zukunft gehen. "Wir müssen wirtschaftliche und rechtliche Reformen umsetzen und Gerechtigkeit schaffen, mit Frieden und Demokratie als obersten Zielen", sagte er unter Beifall. "Geschichte wird neu geschrieben."

Dann steuerte er den Konflikt an, mit dem er seine Suche nach regionaler Bedeutung verbindet: "Wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden", erklärte Erdogan und fuhr fort: "Das gilt für alle Staaten in der arabischen Welt, auch für Israel. Die Rechte der Palästinenser müssen geachtet werden." Die Blockade des Gazastreifens sei ebenso rechtswidrig wie die Stürmung der Gaza-Flottille. Den Uno-Bericht dazu lehne die Türkei ab. "Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die richtigen Schritte einzuleiten. Wenn sie weiterhin Israel unterstützen, machen sie sich der von Israel begangenen Straftaten ebenso schuldig." Ankara werde die Angelegenheit weiterhin vor dem Internationalen Gerichtshof verfolgen. Eine Normalisierung des Verhältnisses zu Israel werde es nicht geben, bis Jerusalem die Familien der Opfer des Angriffs entschädige und die Abriegelung von Gaza beende. "Israel muss den Preis für seine Verbrechen zahlen", rief Erdogan aus. Eindeutiger kann eine Drohung auf diplomatischer Eben kaum sein.

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Schon vor seinem Aufbruch hatte Erdogan dem arabischen Sender al-Dschasira erklärt, es liege nur an der "Großmut der Türkei", dass man Israel nicht schon im vergangenen Jahr den Krieg erklärt habe. Jubelnde Aktivisten vor der türkischen Botschaft in Kairo forderten derweil einen ägyptischen "Aktionsplan" gegen Israel - nach türkischem Vorbild. Kein Zweifel, Erdogan und seine Türkei sind die momentanen Idole einer Region, die nach einem neuen Weg sucht. In Ägypten, Tunesien und Libyen will Erdogan "türkische Größe" demonstrieren, wie es sie seit dem Osmanischen Reich nicht mehr gab. Das Mittel dazu ist vor allem Säbelrasseln gegen Israel. Auch wenn er vor der Abreise noch einmal seinen Respekt vor dem Säkularismus betonte, scheinen die Zeiten vorbei, wo sich der Premier des EU-Bewerbers als Freund westlicher Werte gab.

Doch in Wahrheit ist der neue Erdogan ein Abbild des Mannes, der er vor 15 Jahren war. Er wurde groß in der vehement antiisraelischen, eigentlich antisemitischen Islamistenbewegung Milli Görüs, die wirtschaftliche Modernisierung unter den Bannern des Islam predigte. Erdogan trennte sich davon. Die "Größe" der Türkei wollte er ab der Jahrtausendwende unter Beweis stellen mit Kooperation auch mit Israel und durch die Aufnahme der Türkei in die EU.

Dass der neue Erdogan der größte Feind Israels zu werden scheint, und offenbar nicht mehr von einem EU-Beitritt, sondern von einem neuen Osmanischen Reich träumt, war vielleicht nicht unausweichlich. Zwei Wendepunkte prägten seine Haltung seit 2006: Der eine war die Erkenntnis, dass die EU ihn nicht wirklich wollte - Bedingungen wurden gestellt, die auf einen Verzicht auf türkische Größe hinausliefen, etwa eine Preisgabe des türkischen Nordzypern. Der zweite Wendepunkt kam, als es Erdogan misslang, sich als Mittler zwischen Israel und Syrien zu profilieren. Im Jahr 2008 schien es fast so, als könne Erdogan direkte Friedensgespräche zwischen Syrien und Israel ermöglichen, dank seiner sehr guten persönlichen Beziehung zu Syriens Diktator Baschar al-Assad. Diese Vision zerbrach, als Israel im Dezember 2008 Gaza angriff. Von da an wurde Erdogan zum entschlossenen Gegner des Judenstaats. Türkische Kriegsschiffe, so kündigte er unlängst an, würden die Gaza-Blockade brechen und Israel daran hindern, Erdgasvorkommen im Mittelmeer auszubeuten. Er will nun auch Gaza besuchen in Begleitung von Mahmud Abbas und Ismail Haniah, den Führern von Fatah und Hamas.

Aber Erdogan könnte auf Widerstand treffen. Ägypten selbst hat sich von jeher als Führungsmacht im Nahen Osten verstanden. Ein Erdogan als Symbol palästinensischer Einheit und Freiheit, das kann Kairo nicht gefallen. Zumal der Friedensvertrag mit Jerusalem dem ägyptischen Militär indirekt auch eine jährliche Finanzhilfe der amerikanischen Regierung von etwa zwei Milliarden Dollar garantiert. Erdogan wird sich von derlei Interessen nicht abhalten lassen, seinen Führungsanspruch weiter voranzutreiben. Das hat er mit seiner Grundsatzrede in Kairo gestern klargestellt.